Die Grünen sehen Rot-Rot

Führende Grüne geben das Rennen um die Regierungsbeteiligung verloren: Die SPD habe sich für die Fortführung von Rot-Rot entschieden. PDS-Chef Lederer sieht darin eine perfide Taktik der Grünen

VON MATTHIAS LOHRE

Die Euphorie bei den Grünen ist vorbei: Trotz des guten Abschneidens bei der Abgeordnetenhauswahl glauben führende Parteimitglieder, dass die SPD sich im Stillen auf eine Fortführung der rot-roten Koalition festgelegt hat. Statt Regierungsverantwortung droht nun wieder zähe Oppositionsarbeit.

Nach dem zweiten und letzten Sondierungsgespräch zwischen SPD- und Grünen-Vertretern am Montag ist die zuvor gute Stimmung gekippt. Bei den Knackpunkten in der Umwelt-, Verkehrs- und Bildungspolitik seien die drei Grünen-Verhandler der SPD entgegengekommen, verlautete gestern aus Grünen-Kreisen. Fraktionsvorsitzende Franziska Eichstädt-Bohlig forderte mehr Investitionen in Schulen und Universitäten, stabile Preise im öffentlichen Nahverkehr und die stärkere Förderung der ökologischen Stadterneuerung. Als die Sozialdemokraten kein Interesse an Kompromissen zeigten, sei das, so Fraktionsmitglieder, ein eindeutiges Zeichen gewesen: An Rot-Grün hängt die SPD-Spitze nicht.

Am Dienstagabend berichteten die drei Unterhändler der neuen Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus von ihren zähen Verhandlungen. Die Stimmung unter den 23 Parlamentariern war nach Teilnehmerberichten entsprechend: „Aufrecht resignierend“ hätten sie den Bericht entgegengenommen. Auch öffentlich zeigen die Grünen seither Nerven. Eichstädt-Bohlig erklärte am Dienstag, es entstehe der Eindruck, die SPD wolle Rot-Rot „in die nächste Legislaturperiode verlängern“. Der Pankower SPD-Kreisverband hatte sich bereits am Montag einstimmig für eine Fortführung von Rot-Rot ausgesprochen. Die Pankower gelten nicht als sonderlich links. Ihr Vorpreschen verstehen Beobachter daher als Versuchsballon der SPD-Spitze.

Bald wissen alle Beteiligten mehr. Am frühen Freitagabend wird die SPD nach einer Landesvorstandssitzung verkünden, mit wem sie in den kommenden Wochen Koalitionsverhandlungen führen will.

Nach außen hin geben sich Spitzen-Grüne wie der Landesvorsitzende Till Heyer-Stuffer noch hoffnungsvoll: „Aus meiner Sicht ist die Koalitionsentscheidung noch nicht gefallen. Vieles hängt am Verlauf des PDS-Sonderparteitags.“

Heute Abend treffen sich die Postsozialisten, um eilig zu entscheiden, wie es nach ihrem desaströsen Wahlabschneiden weitergehen soll. Teile der Basis zieht es zur Neupositionierung in die Opposition, die Fraktionsmehrheit möchte weiterregieren (siehe Text unten). In dieser heiklen Lage gedeihen merkwürdige gegenseitige Anschuldigungen. Auf Eichstädt-Bohligs Äußerung, die SPD wolle Rot-Rot in die nächste Legislaturperiode „verlängern“, entgegnete der Linkspartei-Landesvorsitzende Klaus Lederer gestern gereizt, dies seien bloße „Mutmaßungen“. Die Grünen wollten einen „legitimen und notwendigen demokratischen Entscheidungsprozess in der Linkspartei denunzieren und torpedieren“, um die eigenen Regierungschancen zu verbessern.

Die Sorge der Grünen – nur eine perfide Verhandlungstaktik? Dagegen spricht die Resignation vieler Parteivertreter. Nicht nur harte Fakten stehen aus ihrer Sicht gegen Rot-Grün, sondern auch persönliche Animositäten. In fünf Jahren Koalition haben Wirtschaftssenator Harald Wolf und Fraktionschef Stefan Liebich (beide PDS) ein pragmatisches Arbeitsverhältnis mit dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit und SPD-Landes- und Fraktionsvorsitzenden Michael Müller aufgebaut. Der Hang der Grünen zum Ausdiskutieren – das ist im politischen Berlin bekannt – kommt beim harten Verhandler Wowereit nun mal schlecht an.