Kulturrevolution im Gluckenland

In Deutschland hält sich unter Frauen hartnäckig die Ansicht, vor allem kleine Kinder würden unter der Berufstätigkeit von Müttern leiden

Das Selbstbild der modernen Frau bricht zusammen, sobald ein Kind da ist

VON HEIDE OESTREICH

Es ist ein echter Kulturbruch. Heute verabschiedet der Bundestag das neue Elterngeld – und verändert damit fundamental das bisher in der West-Familienpolitik geltende Leitbild der deutschen Mutter. Bisher war es in den alten Bundesländern allgemein anerkannt und üblich, dass Mütter drei Jahre bei ihrem Kleinkind zu Hause bleiben. Ab Januar 2007 unterstützt der Staat nur noch das erste Jahr. Darüber hinaus bezieht er den Vater in die Betreuungsphase ein.

Ja, es gibt Zugeständnisse an die deutsche Mutter: Es wird einen Geschwisterzuschlag geben, wenn eine Mutter nicht oder wenig berufstätig war und das nächste Kind innerhalb von drei Jahren geboren wurde. Und es gibt auch für berufslose Frauen ein Mindestelterngeld. Aber der Schwerpunkt der Förderung gilt berufstätigen Frauen, die nur ein Jahr lang aussteigen.

Um den Kulturbruch zu ermessen, lohnt ein Blick in die Statistik: Laut Mikrozensus waren etwa 2003 nur knapp 11 Prozent der Mütter mit Kindern unter drei Jahren voll berufstätig. Im Osten sind es mit 23,3 Prozent deutlich mehr als im Westen mit 8,8 Prozent. Weitere 20 Prozent arbeiteten in Teilzeit. Macht insgesamt im Durchschnitt ein Drittel aller Mütter, die Kleinkinder haben und daneben einem Beruf nachgehen. Und zwei Drittel, die dies nicht tun, sondern zu Hause bleiben: eine satte Mehrheit.

Solche Zahlen ziehen die FamilienpolitikerInnen heran, um zu zeigen, dass Beruf und Kinder schwer vereinbar sind. Es gebe zu wenig Kleinkinderbetreuung und keine familienfreundlichen Arbeitszeiten in Unternehmen. Das stimmt. Aber es ist nicht so, dass Mütter mehrheitlich frustriert zwischen Küche und Kinderzimmer pendeln und nur darauf warten, dass endlich ein Kitaplatz frei wird. Ziemlich genau die Hälfte der Frauen zwischen 20 und 44 Jahren ist laut „Gender-Datenreport“ des Familienministeriums der Ansicht, dass die Mutter kleiner Kinder ihre Berufstätigkeit unterbrechen sollte. Im Westen sind es 55,6 Prozent, im Osten mit 45,1 Prozent nicht so viel weniger, wie man landläufig denken sollte. Und zwei Drittel aller Frauen mit einem kleinen Kind würden gerade einmal Teilzeit arbeiten wollen, heißt es in dem Report, der 2005 erstellt wurde. Wieder unterscheiden sich die Frauen im Osten nur wenig von denen im Westen. Die Ex-Tagesschau-Sprecherin Eva Herman, die Mütter eher daheim bei den Kindern sehen möchte, kann sich in dieser Hinsicht also zu Recht als Stimme einer schweigenden Mehrheit fühlen.

Diese Zahlen spiegeln das heute herrschende Familienleitbild wieder, das sich auch bei Familien im Osten auszubreiten scheint, je weniger Arbeit dort verfügbar ist: Der Mann ist der Brotverdiener, die Frau kümmert sich um Haus und Kinder und verdient, wenn möglich, etwas dazu. Dieses Leitbild ist weit entfernt von dem einer Frau, die auch mit Kind zielstrebig ihre Karriere weiterverfolgt und sich damit sozial absichert – was ihre Rente angeht oder auch die Existenz im Fall einer Scheidung sichert. Es existieren quasi zwei Bilder nebeneinander: die moderne, berufstätige Frau auf der einen Seite und auf der anderen die Mutter, die selbstverständlich ihr „kleines Familienunternehmen“ am Laufen hält – und damit zu Hause bleibt. Gerade in dieser Widersprüchlichkeit hat die Karrierefrau Herman, die plötzlich die Hausfrau predigt, den Konflikt deutscher Frauen perfekt abgebildet.

Warum aber bleibt das Mutterbild vor allem im Westen so traditionell? Forscher des Staatsinstituts für Familienforschung an der Uni Bamberg haben jüngst in einer Studie die „Bedeutung von traditionellen Familienleitbildern für die Berufsverläufe von Männern und Frauen“ untersucht. Heraus kamen tief sitzende Glaubenssätze: 43,3 Prozent der befragten Frauen bestätigten den Satz: „Ein Vorschulkind leidet unter der Berufstätigkeit der Mutter.“ 53,2 Prozent sind der Ansicht, die Frau solle nicht berufstätig sein, wenn das Kind unter drei Jahre ist. Sogar in der jüngeren Generation ist diese Haltung durchaus noch verbreitet: Unter den 15- bis 24-Jährigen sind immer noch fast 44 Prozent dieser Ansicht.

„Das hat uns schon erstaunt“, meint Marina Rupp, stellvertretende Leiterin des Instituts und Mitautorin der Studie. Auch ihr fiel auf, dass das moderne Selbstbild der berufstätigen Frau zusammenbricht, sobald ein Kind da ist. Niemand möchte eine schlechte Mutter sein, jede möchte für ihre Kinder da sein. „Wenn dann noch die Rahmenbedingungen das traditionelle Bild stützen, weil es ohnehin nicht genug Kitaplätze gibt, dann setzt sich das traditionelle Mutterbild in diesem Konflikt einfach durch“, so Rupp. Grund ist die tiefsitzende Überzeugung, dass die Mutter die Bindung des Kindes am besten sichern kann, die zudem noch von den Rahmenbedingungen verstärkt wird: „In Westdeutschland kann man die Erfahrung, dass ein Kleinkind auch in der Kita gut aufgehoben ist, im Moment kaum machen, die Strukturen sind nicht da“, so Rupp. „Da sagen Mütter zu Recht: Dann bleibe ich lieber daheim.“ Dass die Politik die Strukturen nun umbaue, könne auch zu neuen Erfahrungen führen und damit auch das Leitbild langsam verändern. Rupp ist zuversichtlich: „Das Elterngeld kann einen Erkenntnisschub auslösen.“ Ab Januar 2007 wird man die deutschen Mütter dabei beobachten können.