„Väter kontrollieren viel weniger“

Männer kümmern sich ganz anders um Haushalt und Kleinkinder. Sie delegieren mehr und lassen mehr Freiraum

taz: Herr Fthenakis, knapp die Hälfte der deutschen Frauen meint, dass kleine Kinder leiden, wenn die Mutter berufstätig ist. Haben sie Recht?

Wassilios Fthenakis: Diese Auffassung bringt eher Ängste von Erwachsenen zum Ausdruck und eine vor allem im Westen des Landes verbreitete Mutterideologie, die sogar manche Kinderärzte gepredigt haben. Nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung zeigt etwa ein Fünftel aller Kinder tatsächlich Probleme. Sie fremdeln oder zeigen Angstreaktionen, vor allem zu Beginn einer außerfamilialen Betreuung. Wir wissen, dass die Ursache dafür nicht primär in den Institutionen zu finden ist, sondern vielmehr in den Familien selbst. Dies trifft etwa für Kinder zu, die zu ihren Eltern keine sichere Bindungsqualität entwickeln konnten.

Nun gehen aber die Mütter sicherlich vom Gegenteil aus: Sie wollen erst einmal eine gute Bindung zum Kind herstellen und es nicht so früh weggeben, um die Bindung nicht zu gefährden.

Das ist genau das Problem. In solchen Risikofamilien muss man quasi doppelt intervenieren: Die Ursachen in der Familie müssen beseitigt werden und man muss dem Kind in der Einrichtung helfen, Wechselsituationen angstfrei zu bewältigen. Beides wird nicht gemacht.

Weil Mütter denken: Ich habe es ja gewusst, das Kind ist zu klein.

Ja, denn die Mutterideologie braucht immer wieder Legitimation. Bei dieser Argumentation ist es klar: Nicht das Kind braucht die Mutter, sondern nicht selten die Mutter das Kind, um sich eventuell als zu Hause bleibende Mutter zu legitimieren.

Im Ernst? Wie stellt die Mutter das an?

Es ist etwa eine Mutter, die mit ihrer Erwerbstätigkeit nicht zufrieden ist, eine Mutter, die sich morgens von dem Kind nicht trennen kann und das Kind damit emotional belastet. Eine Mutter, die Probleme in der Partnerschaft hat und sich über das Kind stabilisiert – das alles können Faktoren sein, die dazu beitragen, dass das Kind sich in der Kita nicht wohl fühlt, weil es spürt, dass die Mutter es braucht.

Woran merkt das Kind das?

Die Mutter sagt etwa: Ach, mein Schatz, in drei Stunden hole ich dich ja schon wieder ab, es dauert gar nicht lange, mach dir keine Sorgen. Und sie drückt und küsst das Kind dreimal und lässt es ungern gehen: Sie bekommt ihre emotionale Versorgung über das Kind. Es spürt, dass es nicht gut ist, wenn es in der Kita ist.

Können Väter auch etwas falsch machen?

Väter müssen Mütter entlasten, natürlich hat das entscheidenden Einfluss. Wenn sie das Kind in die Kita bringen, wenn sie die Mutter emotional annehmen, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind Probleme bekommt, signifikant niedriger.

Wie kann man unsicher gebundenen Kindern helfen?

Es gibt eine sehr gute Forschungsarbeit: Wenn qualifizierte ErzieherInnen in der Krippe sich intensiv um nicht sicher gebundene Kinder kümmerten, einfühlsam auf sie reagierten, haben die Kinder das genutzt, um zu dieser Person eine sichere Bindung aufzubauen. Schließlich übertrugen sie die sichere Bindung sogar auf die Eltern. Das heißt, eine so organisierte Bildungsqualität in der Krippe kann Kindern diese Sicherheit vermitteln und das Eltern-Kind-Verhältnis stabilisieren.

Nun will die Familienpolitik, dass auch die Väter mindestens zwei Monate zu Hause bleiben können. Kann man alles, was Sie über Mütter gesagt haben, so auf Väter übertragen?

Das ist nicht so einfach, denn wir haben beobachtet, dass Väter sich ganz anders um Haushalt und Kleinkinder kümmern. Die Mütter fühlen sich eher allein für das gesamte Wohl der Familie verantwortlich. Die Väter dagegen delegieren viel mehr, an die Frauen oder an ältere Kinder. Sie setzen die Standards nicht so hoch wie die Mütter und sie kontrollieren weniger. Das gibt den Kindern insgesamt mehr Freiraum zur Entfaltung. Sie entwickeln bessere kognitive und emotionale Fähigkeiten.

Was wollen Sie damit sagen? Väter sind die besseren Mütter?

Natürlich ersetzt kein Vater die Mutter, aber auch umgekehrt. Deshalb sollte man die Elternzeit und das Elterngeld am besten gerecht auf beide verteilen. Die ganze Familie profitiert davon.INTERVIEW: HEIDE OESTREICH