Provo-Drama „Wut“

Züli Aladags „Wut“ fokussiert nicht auf Probleme der Migration – es geht um den Mittelstand (22.00 Uhr, ARD)

Welche Sprache ist dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen angemessen? In der skandalisierten und in Wirklichkeit ein wenig langweiligen Migrationsparabel „Wut“, die die ARD nach Medientrallalla, Intendantengefeilsche und Jugendschutzaktionismus heute um 22.00 Uhr ausstrahlt, wird ungefähr mit dem gleichen grammatikalischen Feinsinn gepöbelt wie in „Was jetzt los?!?“, dem brandneuen Video der Berliner Rap-Bulldogge Irie D. Das weibliche Geschlechtsorgan wird mit den niederträchtigsten Formulierungen bedacht, die Mütter der anderen degradiert man zu Lustobjekten.

Über den Ursprung solch obszöner Litaneien lässt sich diskutieren – sind sie authentischer Ausdruck einer Selbstermächtigung der Sprachlosen oder einfach nur medial produziert? Fakt ist: Auf den Schulhöfen wird so gesprochen, und deshalb muss dieses Idiom auch in einem Film vorkommen, der Halbwüchsige mit Migrationshintergrund zeigt.

So gesehen scheinen die Macher von „Wut“ mit dem darin entfachten verbalen Getöse auf der sicheren Seite. Sie erzählen, wie der türkische Dealer Can (Oktay Özdemir) in die wohlgeordnete Bürgerlichkeit von Universitätsdozent Simon (August Zirner) einbricht, den Cello spielenden Sohn (Robert Höller) zum Kiffen animiert, der Frau (Corinna Harfouch) Avancen macht und den Hausherrn in Anspielung auf seine geschlechtliche Unterlegenheit beschimpft.

Das alles geht erst mal in Ordnung; das öffentlich-rechtliche Fernsehen ist ja keine moralische Lehranstalt. Problematisch allerdings, dass sich die Filmemacher wenig um ihren türkischen Protagonisten scheren. Er dient ihnen vielmehr als eine Art Katalysator, um von der Instabilität der bürgerlichen Familie zu berichten.

Sicher, es gibt zwei, drei Momente in „Wut“, wo erhellend von den Ein- und Rückwirkungen im Clash der Kulturen erzählt wird. Etwa, wenn durch die (echte oder eingebildete) Bedrohung hinter den verständnisvollen Floskeln des Vaters dumpfe Vorurteile hervorbrechen und die entlarvte Scheinliberalität den Delinquenten in seinen Aggressionen bestärkt. Doch leider verschiebt sich der Fokus bald vom Migrationskonflikt auf die Mittelstandskrise.

Der kurdischstämmige Regisseur Züli Aladag hat mit „Elefantenherz“ mal ein ganz passables Straßendrama vorgelegt, richtig großartig war aber bislang nur sein Tatort „Mutterliebe“, in dem er die Auflösung des deutschen Patriarchats beschrieb. Und nun erzählt er eben auch in seinem Provo-Drama „Wut“, das doch eigentlich ein anderes Thema hat, vor allem vom Machtverlust des deutschen Mannes, der sich unter dem Deckmantel der Liberalität vollzogen habe. So unterhält Literaturdozent Simon Affären mit Studentinnen, während sich die Gattin mit seinem besten Freund vergnügt. Die deutsche Familie aber, so suggeriert der Film, kann nur weiterbestehen, wenn der männliche Schutz wiederhergestellt ist.

Wenn es etwas Skandalöses an „Wut“ gibt, dann ist es diese verdruckste Sehnsucht nach maskulinen Leitbildern. Gegen solch ein verschämtes Plädoyer für mehr Männlichkeit wirkt der unappetitliche Machismo eines Can oder eines Irie D geradezu anziehend. CHRISTIAN BUSS