Das alte Spielzeug mitgeschleppt

Der Emigration deutscher Juden widmet das Jüdische Museum Berlin die erste umfassende Ausstellung

Die Ausstellung „Heimat und Exil. Emigration der deutschen Juden nach 1933“ im Jüdischen Museum in Berlin ist eine Weltpremiere. Denn bislang hat es keinen Versuch gegeben, das Schicksal der aus Deutschland vertriebenen Juden in einer Gesamtschau darzustellen. Nicht viel besser sah es lange Zeit mit der wissenschaftlichen Bearbeitung des Themas aus. In den 70er-Jahren, zu Beginn der Auseinandersetzung mit dem deutsch-jüdischen Exil, stand oft die Beschäftigung mit Größen der Wissenschaft und des Geisteslebens im Vordergrund. Erst die 1991 von Wolfgang Benz herausgegebene Sammlung von Biografien „Das Exil der kleinen Leute“ machte die Bahn frei für die Sammlung und Edition „normaler“ Emigrationserfahrung. Von dieser Wende hat die jetzige Berliner Ausstellung einen entscheidenden Impuls erhalten.

Die mehrjährige Vorarbeit zur Ausstellung teilten sich das Bonner Haus der Geschichte und das Berliner Jüdische Museum. Ersteres zeichnet für den politischen Rahmen verantwortlich, letzteres für die Geschichte der erzwungenen Auswanderung, geordnet nach Zeitablauf und nach den Zielgebieten der Emigration. Der Zeitablauf spielt insofern eine Rolle, als die erste Welle der Emigration in den 30er-Jahren vor allem in den Nachbarstaaten ankam: in der Tschechoslowakei, Frankreich, Schweiz, sogar in Österreich. Das war eine Wahl, die von der Hoffnung auf ein baldiges Ende der Hitlerei motiviert war – ein verhängnisvoller Fehlschluss, wie sich später herausstellte. Hinsichtlich des Zielgebiets der Emigration unterscheidet die Ausstellung zwischen den Ländern, die eine vorübergehende Zuflucht boten, und jenen, auf die sich die endgültige Auswanderung konzentrierte, also die USA, England und das unter englischer Mandatsverwaltung stehende Palästina.

Die Ausstellung besticht durch eine dichte, an Einzelschicksalen von Emigranten orientierte Darstellung. Glücklicherweise hat es unter den Emigranten genug Menschen gegeben, die das Aufbewahren von Fotos, Briefen, Spielzeug, aber auch von amtlichen Dokumenten nicht lassen konnten. Auch seitens der nazistischen Täter finden wir eine Fülle von Material. Beeindruckend ist die Dokumentation von sechs Bescheinigungen, die der künftige Emigrant, oft bis aufs Hemd ausgeraubt von den Behörden, beibringen musste, ehe ihm erlaubt wurde, das Land zu verlassen.

Keineswegs wird in der Ausstellung verschwiegen, dass viele Länder, ursprünglich einschließlich den USA, sich entweder weigerten, die Verfolgten aufzunehmen oder bei der Aufnahme äußerst restriktiv verfuhren, von späteren Arbeitseinschränkungen und Schikanen ganz zu schweigen. Hier ist die Odyssee der über 900 Emigranten instruktiv, die mit gültigen Papieren auf der „St. Louis“ mit dem (vorläufigen) Ziel Kuba unterwegs waren. Die „St. Louis“ war ein Kraft-durch-Freude-Schiff. Die Nazis verfolgten mit der Reise die Propagandaabsicht, der Welt darzutun, dass jeder deutsche Jude, der es wollte, emigrieren konnte, dass es aber die westlichen Staaten waren, die die Aufnahme verweigerten. In Kuba sorgte der deutsche Geheimdienst für die Ablehnung der Anlandung, die USA folgten dem Beispiel aus eigenem Antrieb. Schließlich wurde doch noch auf dem Verhandlungsweg erwirkt, dass die Flüchtlinge von Antwerpen aus auf Frankreich, Belgien und Holland aufgeteilt wurden – um doch nach 1940 mehrheitlich Opfer der nazistischen Mordmaschine zu werden.

In einer Diskussion wurde von einem überaus rüstigen israelischen „Jeckes“, einem wichtigen Leihgeber, moniert, dass Palästina nur als eines der Hauptauswanderungsländer benannt wurde. Diese Entscheidung der Ausstellungsmacher legitimiert sich aus der damaligen Sicht vieler Emigranten, verweist allerdings auf ein Problem. Innerhalb der Ausstellung wird das jüdische Leben in Deutschland bis in die 30er-Jahre nur summarisch dargestellt. Weshalb die Auseinandersetzung zwischen den Zionisten, also freiwilligen Auswanderern nach Erez Israel, und denen, die nur der Not gehorchend nach Palästina flüchteten, kaum Erwähnung findet. Auf diese Differenz spielt die bekannte Frage an die Neuankömmlinge der 30er-Jahre an: „Kommen Sie freiwillig oder kommen Sie aus Deutschland?“ Überhaupt werden die politischen Ansichten der jüdischen Emigranten allzu schwach beleuchtet.

Im Unterschied zu den politischen Emigranten, die diese Kennzeichnung ungern benutzten und sich lieber Flüchtlinge nannten, war für fast alle jüdischen Emigranten der Bruch mit der „alten Heimat“ endgültig. Die meisten von ihnen sind nach 1945 nicht nach Deutschland zurückgekehrt. Sie haben bewusst das Aufnahmeland als ihre neue Heimat angenommen, sich mit ihm identifiziert, oft auch – wie die Ausstellung zeigt – als Soldaten im Zweiten Weltkrieg. Kehrten sie nach Deutschland zurück, so ging es ihnen meist um die Gräber ihrer Vorfahren. Dennoch hat sich vielerorts in der Emigration bis heute eine Anhänglichkeit an die deutsche Kultur erhalten, wozu beispielsweise die verrückte Liebe zu Richard Wagner zählt. Solche mit dem Heimatbegriff verbundenen ambivalenten Gefühlslagen waren allerdings nicht Gegenstand der Ausstellung.

Die Ausstellungsarchitektur verfolgt ein angenehm zurückhaltendes Konzept, vermeidet plakativen Symbolismus (mit Ausnahme des abschließenden Reflexionsraums) und gliedert die Thematik in übersichtlicher Weise. Die audiovisuellen Hilfsmittel sind zentraler Bestandteil der Ausstellung, weil sie die biografisch orientierte Leitlinie stützen. Im Ganzen ein geglücktes Unternehmen, dem man eine längere Lebensdauer wünscht.

CHRISTIAN SEMLER

Die Ausstellung ist bis April 2007 im Jüdischen Museum Berlin zu sehen, anschließend in Bonn und Leipzig