Wowereit will Berlin vereinen

Die Einheit der Stadt müsse vollendet werden, begründet der Regierende Bürgermeister die Entscheidung für die PDS. Das ist vernünftig. Denn nur Rot-Rot kann die geistige Mauer überwinden

VON RICHARD ROTHER

Manch Lichtenberger hat noch keinen Fuß auf eine Kreuzberger Straße gesetzt und manch Reinickendorfer war noch nie in Ostberlin, vom Fernsehturm auf dem Alex vielleicht einmal abgesehen. Auch Kontakte zwischen Ost- und Westberlinern könnten, 16 Jahre nach der Wende, häufiger sein – von Umzügen in den anderen Teil der Stadt ganz zu schweigen. Nur 38 Prozent der Berliner halten die Einheit der Hauptstadt für verwirklicht, hat eine Umfrage zum 3. Oktober ergeben. Für den künftigen Senat, der aller Voraussicht nach ein SPD-PDS-Senat sein wird, ist also noch eine Menge zu tun.

Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) begründet seine Entscheidung, nach der Wahl mit der Linkspartei. PDS Koalitionsverhandlungen zu führen, auch mit der Vollendung der Einheit der Stadt. Dies mag den enttäuschten Grünen, die gerne in Berlin regieren würden, vorgeschoben vorkommen – ein Blick auf die besondere Berliner Situation zeigt aber, dass Wowereits Aussage sachlich richtig und politisch vernünftig ist.

Die PDS hat zwar bei der Wahl, auch im Osten, kräftig verloren – aber sie ist im Ostteil der Stadt immer noch eine Volkspartei. Knapp 28 Prozent erzielte die PDS hier, während sie im Westen unter die Fünfprozenthürde rutschte. Historisch, personell und vor allem gefühlt ist die PDS eine Ostpartei – während alle anderen Parteien im Abgeordnetenhaus westlich geprägt sind. „Es ist gut, dass die PDS wieder in der Regierung sitzen wird“, sagt PDS-Landeschef Stefan Liebich. „Jede andere Regierung würde im Ost-Teil der Stadt bei einem Großteil der Bevölkerung als eine erneute Westberliner Regierung empfunden werden. Das ist bei uns nicht der Fall.“

Programmatisch setzte und setzt die PDS auf Themen, die insbesondere im Ostteil der Stadt ankommen: die wohnungspolitische Abfederung von Hartz-IV-Härten gehört dazu, das Sozialticket oder auch das neue Rosa-Luxemburg-Denkmal, das die ostdeutsche Seele streichelt. Wie wichtig die Beachtung des Ostens für die Entwicklung Berlins und der gesamten Region ist, zeigt die gescheiterte Länderfusion mit Brandenburg. Damals hatte man die PDS nicht ins Boot geholt – und die Brandenburger sagten Njet.

Die drei Themen, die die Linkspartei.PDS im künftigen Senat umgesetzt sehen will, zeugen ebenfalls von einer tief verwurzelten ostdeutschen Tradition. Während die Grünen mit einer Pflichtabgabe für Autofahrer und mehr Geld für die Bildung punkten wollten, setzt die PDS andere Schwerpunkte: Statt 1-Euro-Jobs möchte sie sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im öffentlichen Sektor schaffen. Hinter der Forderung steckt das besonders in Ostberlin verbreitete Denken: Wenn der Markt versagt, müsse der Staat einspringen, genügend sinnvolle Arbeit sei ja vorhanden.

Auch die Absage weiterer Privatisierungen durch die PDS folgt traditionellem kapitalismuskritischem Denken, wie es im Ostteil der Stadt eher verbreitet ist: Die Käufer würden sich nur die Rosinen herauspicken, während das Gemeinwesen auf den Kosten oder Verlusten sitzen bleibe. Die Erfahrungen mit der Bankgesellschaft und dem Teilverkauf der Wasserbetriebe zeigen, dass diese Befürchtungen nicht unberechtigt sind.

Drittes Hauptthema der PDS ist die Gemeinschaftsschule, die von ihren schwarzen, gelben und grünen bürgerlichen Gegnern als Einheitsschule tituliert und erbittert bekämpft wird, damit ihr Nachwuchs weiter unbehelligt von Arbeiter- und Ausländerkindern frühzeitig aufs Gymnasium gehen und Karriere machen kann. Zwar verweisen die PDSler immer auf Pisa und Skandinavien zur Begründung der Gemeinschaftsschule, um nicht in die DDR-Ecke gesteckt zu werden, aber dort war die Gemeinschaftsschule – zumindest in den Naturwissenschaften – erfolgreiche Realität: zehn Klassen für alle, danach Abitur oder Lehre.

Mit Rot-Rot wird es in Berlin allenfalls Modellprojekte für die neue integrative Schulform geben, weil die Front der Ablehner zu stark ist. Werden die Modellschulen aber sehr gut ausgestattet und entsprechend erfolgreich sein, könnten sie helfen, die Ängste vor dieser Schulform abzubauen. Mehr kann die ostdeutsche Erfahrung zur Modernisierung des westdeutschen Schulsystems im Moment nicht beisteuern.