„Ich glaube an die Kraft der Kunst“

„Ich weiß, dass sich das alles wie eine schlechte Vorabendserie anhört: von der Assistentin zur Ehefrau, vom besetzten Haus ins Galerienviertel. Jetzt sind wir auch noch nach Zehlendorf gezogen und das Klischee ist perfekt“

Eigentlich wollte die Kölnerin Nicole Hackert (38) Diplompsychologin werden, ihr Kunstgeschichtsstudium war zunächst zweite Wahl. Doch dann zog sie nach Berlin in ein besetztes Haus und verliebte sich erst in die Kunst und dann in den Galeristen Bruno Brunnet. Seit 1996 betreibt das Ehepaar zusammen die Galerie Contemporary Fine Arts in Mitte, die Stars wie Daniel Richter, Peter Doig und Jonathan Meese entdeckte

VON NINA APIN

taz: Frau Hackert, Sie betreiben zusammen mit Ihrem Mann Bruno Brunnet eine der erfolgreichsten Galerien der Stadt. Wie sind Sie zur Kunst gekommen?

Nicole Hackert: Natürlich hat mich das Hundertwasser-Plakat bei den Eltern im Keller beeindruckt und der Besuch im Prado in Madrid. Aber richtig erwischt hat mich die Kunstwelt erst, als ich den Künstler Martin Kippenberger kennenlernte. Seine Person und seine Kunst haben mich so irritiert und andere Perspektiven eröffnet, dass ich dachte: Mit solchen Leuten will ich mal arbeiten.

Sie stammen eigentlich aus Köln. Anfang der 90er, als die rheinische Kunstszene besonders beliebt war, sind Sie weggezogen – nach Berlin. Hat die Entdeckerlust Sie getrieben?

Es war viel banaler: Ich ging zum Psychologiestudium nach Berlin und merkte absurderweise dann dort, dass ich doch lieber den Schwerpunkt auf das bereits fortgeschrittene Kunstgeschichtsstudium legen wollte. Berlin war damals Kunstprovinz, niemand kam dorthin. Aber im Niemandsland konnte man Neues ausprobieren. Ich zog in ein besetztes Haus in der Ackerstraße und managte mit drei anderen Frauen die Off-Galerie „Art Acker“. Das hätten wir in Köln wohl nie machen können …

Weil es dort keine besetzten Häuser gab?

Weil es im Osten keine etablierten Strukturen gab. Dort konnten wir Dinge wagen, die vom üblichen Galeriengeschäft abwichen. Wir veranstalteten Splatterfilm-Festivals und Abende mit selbstgemachten Kunstmagazinen. Damals ergaben sich erste Kontakte zu Leuten, mit denen wir heute noch zusammenarbeiten. Daniel Richter etwa fiel mir bei linken Diskussionsrunden als Vielredner auf. Er war spätberufener Kunststudent, gestaltete Plattencover, sammelte Pettibon-Fanzines – so wiederum lernte Bruno Brunnet ihn kennen – und malte Bilder, die an den frühen Baselitz erinnerten.

Heute gilt Daniel Richter als Shooting-Star der neuen deutschen Malerei. Haben Sie damals schon geahnt, welches Erfolgspotenzial in seinen großformatigen Gemälden steckt?

Ich sehe Künstler nicht vornehmlich als Produzenten verkäuflicher Ware, so primitiv läuft das nicht. Das Potenzial suche ich im Typen, nicht nur in seinen Erzeugnissen zu einer bestimmten Zeit. Den Ausschlag für die Zusammenarbeit mit Daniel Richter gab damals vor allem die gute Chemie. Und das Gefühl, dass Daniel mehr kann, als gute Malerei abzuliefern. Das hat sich bewahrheitet.

Wie bei dem 35-jährigen Jonathan Meese, den Sie auch entdeckt haben? Er gilt als kauzig, aber seine wirren Installationen aus Eisernen Kreuzen, Wagnerzitaten und Pimmeln machen auf dem Markt Furore. Haben Sie sich da dann doch auf die Psychologie verlassen?

Dieser seltsame junge Mann stand in Hamburg vor uns mit seinen langen Haaren, Adidasjacke und braunen Schlagcordhosen. Er hatte einen Rucksack und zwei Taschen voller Fotos dabei, aber die brauchten wir gar nicht alle zu sichten. Nach zwanzig Minuten wussten wir: Den brauchen wir, der hat eine Mission. Aber glauben Sie jetzt nicht, dass der Erfolg von allein kam! Es war viel Arbeit nötig, um den Kunstmarkt von Jonathan Meese zu überzeugen.

Der Kunstmarkt – wer ist das eigentlich? Galeristen wie Sie und ein paar reiche Sammler?

Das war einmal. In den letzten Jahren ist der Kunstmarkt wirtschaftlich expandiert und nicht mehr so überschaubar. Die Nachfrage nach neuer Ware ist enorm: Es gibt viel mehr Sammler als früher, aus allen Schichten. Und mehr Kunstvereine und Museen, die auch bespielt werden wollen. Auf den großen Messen in Basel, Miami, London und Berlin werden die Geschäfte gemacht. Und die Auktionshäuser heizen den Markt zusätzlich an. Dort werden astronomische Preise für Bilder bezahlt, die teilweise erst ein Jahr alt sind.

Ihr Weg vom besetzten Haus in die Topliga der europäischen Galerienszene führte erst einmal über Charlottenburg und Moabit.

Bruno betrieb zwischen 1992 und 1996 die Galerie „Brunnet Fine Arts“ in der Wilmersdorfer Straße. Im tiefsten Westen, mitten in der Fußgängerzone! Ich fand diese Idee so großartig, dass ich mich bei ihm für ein Praktikum bewarb. Zwei Jahre lang war ich seine Assistentin. Nach meinem Studium gründeten wir zusammen Contemporary Fine Arts. Erst waren wir in Moabit, 1996 zogen wir in die Sophie-Gips-Höfe in Mitte.

Heute sind Sie miteinander verheiratet und betreiben eine gutgehende Galerie im schicken Galerienviertel.

Ich weiß, dass sich das alles wie eine schlechte Vorabendserie anhört: von der Assistentin zur Ehefrau, vom besetzten Haus ins Galerienviertel. Jetzt sind wir auch noch nach Zehlendorf gezogen und das Klischee ist perfekt. Jetzt müssen wir nur noch aufpassen, nicht für die „neue Bürgerlichkeit“ herhalten zu müssen. (lacht)

Kann man das auch von der Berliner Kunstszene behaupten?

Berlin ist schon noch kreativ und ein bisschen wild. Aber im Gegensatz zu früher werden hier jetzt auch Geschäfte gemacht. Aus aller Welt reisen Sammler zeitgenössischer Kunst an, nicht nur zur Messe. Die Provinz ist jetzt Köln, dort passiert kaum noch etwas.

Fühlen Sie sich mittlerweile als Berlinerin?

Ich bin dauernd unterwegs, die Frage habe ich mir so noch nie gestellt. Aber sollte ich mir in 30 oder 40 Jahren mal überlegen müssen, wo ich begraben werden möchte, dann würde die Wahl wohl auf Berlin fallen. Vielleicht ist das der Beginn eines Heimatgefühls.

Woher holen Sie sich eigentlich Inspiration?

Auf Reisen verbringe ich viel Zeit in Galerien, aber in letzter Zeit langweile ich mich dort oft. Zeitgenössische Kunst ist wahnsinnig beliebt, auch bei der breiten Masse. Das bringt leider auch viel mittelmäßige Kunst hervor. Besonders dieser anhaltende Trend zu großformatigen Gemälden geht mir auf die Nerven. Da bringt mir ein Museumsbesuch manchmal mehr.

Sie als Galeristin für zeitgenössische Kunst beschweren sich darüber, dass sich die Leute für zeitgenössische Kunst interessieren?

Es gehört heutzutage zum guten Ton, sich in der zeitgenössischen Kunst auszukennen. Das finde ich natürlich gut, auch wenn dabei oft viel Halbwissen im Spiel ist. Es ist immer besser, über Kunst zu reden als über das neue Auto. Ich glaube an die heilende Kraft der Kunst, sonst wäre ich keine Galeristin.

Meinen Sie das spirituell?

Ich habe mich schon immer geweigert, den dekorativen Faktor von Kunst anzuerkennen. Dass man mit Kunst die Gesellschaft verändern kann, ist natürlich dummes Zeug. Aber ich glaube, dass Kunst der Realität eine andere Ebene hinzufügt. Das kann man meinetwegen spirituell nennen. Das originäre Ziel von Bruno und mir war es ja nicht, Geld zu verdienen oder Schönheit zu produzieren. Sondern eine lebenslange Partnerschaft mit Künstlern anzustreben, die etwas zu sagen haben. Ich weiß, das klingt jetzt kitschig. Aber wir sind vor allem eine große Familie.

Contemporary Fine Arts ist für die ganz besonders intensive persönliche Betreuung seiner Künstler bekannt. Es heißt sogar, dass Sie den Shooting-Star Jonathan Meese samt seiner Mutter mit in den Familienurlaub nehmen.

Stimmt. Jonathans Mutter ist immer bei ihm als eine Art Schutzschild, sie hilft ihm, sich zu strukturieren. Er produziert auch im Urlaub unfassbar viele Skizzen und Zeichnungen, die meisten davon archivieren wir gleich. Eine meiner Töchter malt auch schon ganz viel, wer weiß, wo sie das herhat …

Ist Bemutterung das Erfolgsrezept Ihrer Galerie?

Persönliche Betreuung ist mit Sicherheit ein Faktor. Der andere ist das enge Netzwerk, das zwischen unseren Künstlern besteht. Dieses Glück haben nur wenige Galerien. Wir wissen das zu schätzen: Als Bruno und ich kürzlich ein Haus in Nikolassee kaufen wollten, haben wir vorher getestet, ob sich unsere Künstler darin wohlfühlen. Das war uns wichtig, denn das Haus soll auch ein Anker für alle aus der Großfamilie sein, wenn sie mal rauswollen aus Mitte.

Das klingt ja, als hätten Sie gar kein Privatleben. Wann haben Sie eigentlich mal genug von der Kunst?

Nicht oft, aber dann richtig. Dann fahren wir ins Strandbad Wannsee. Garantiert kunstszenefrei.

Was ist Ihr Ziel für die nächsten Jahre?

Ausruhen werden wir uns jedenfalls nicht. Wir werden uns bestimmt nicht damit zufriedengeben, im hinteren Mittelfeld mitzuspielen. Unser Anspruch ist es, weiterhin vorne zu bleiben, prägend zu bleiben. Und unsere Truppe so zusammenzuhalten, dass sie produktiv bleibt und dabei die gute Laune nicht verliert.