theorie und technik
: Der Zorn lebt weiter

Dass die undogmatische Linke eigene Institutionen hervorgebracht hat, ist kein Altersdrama, sondern eine Chance

Im alternativen Düsseldorfer Kulturzentrum zakk gibt es eine Tanzveranstaltung für die über 50-Jährigen. Das WUK in Wien feiert diese Woche sein 25-jähriges Bestehen, darin etwas in Verzug gegenüber seinen deutschen Pendants. All diese Orte sind mitsamt ihren Benutzern in die Jahre gekommen. Sind sie nunmehr Museen eines ehemaligen Aufbegehrens? Reservate für angegraute und für junge Rebellen – oder gibt es hier immer noch eine lebendige Gegenkultur?

Schon die Fragestellung ist typisch. Offenbar erzeugt die Tatsache, dass Institutionen der undogmatischen Linken – und da gehört die taz durchaus dazu – noch immer existieren, nicht einfach Begeisterung, sondern geht einher mit linkem Selbstzweifel: Ist die anhaltende Existenz ein Erfolg oder nicht doch eher ein Scheitern? Hat man „der Macht“ etwas abgetrotzt, oder ist man in die Falle der Domestizierung, der Integration getappt? Grundlage dieses chronisch schlechten Gewissens ist der vorherrschende Institutionenbegriff, der vor allem an negativen Effekten wie Entfremdung, Bürokratisierung, Funktionärswesen festgemacht wird – an allem also, was als „Verrat an den ursprünglichen Ideen“ deutbar ist.

Nun liefert ausgerechnet Peter Sloterdijk in seinem neuen Buch, „Zorn und Zeit“, ein wirksames Gegengift gegen solche Formen des Selbstzweifels. Nicht durch seine allerorts besprochene Rehabilitierung der Zornregung, sondern durch seinen noch unzureichend gewürdigten positiven Institutionenbegriff. Dieser sieht vor, eine linke Institution, mithin also eine, die aus Rebellentum, Dissidenz und Aufbegehren hervorgegangen ist, als einen Produktionsort zu verstehen. An dessen Ausgangspunkt stehen Leidenschaften, die aus dem Unbehagen am Bestehenden resultieren, die hier einer prekären Verwandlung in ein kollektives Projekt unterzogen werden. Nur so werden individuelle Energien des Protests in ein überindividuelles und damit erst politisches Projekt verwandelt.

Sloterdijk hat dafür das schöne Wort „Zornbank“ erfunden. Als Zornbank betrachtet, wäre ein alternatives Kulturzentrum oder auch die taz (in Abwandlung von Sloterdijks Bestimmung, die sich auf politische Parteien bezieht) eine Form, Leidenschaften zu organisieren. Diese Leidenschaften sind dabei das Rohmaterial, das der Bearbeitung durch eine Institution bedarf. Das bedeutet einen Einspruch gegen jeden Spontaneismus, indem gegen die reinen Energien deren Bündelung stark gemacht wird.

Es bedeutet aber auch einen Einspruch gegen ein Konzept von linken Institutionen, wie sie etwa Althussers „Ideologische Staatsapparate“ darstellen. Bei Letzteren werden die Impulse der Einzelnen nicht eingespeist, sondern von den ideologischen Apparaten entfacht, um sie letztlich einer Integration zuzuführen, was diese eben zu Staatsapparaten macht.

Das Bearbeiten der Leidenschaften erfordert also zweierlei: die Domestizierung und die Steigerung der rebellischen Energien. Das eine ist nicht ohne das andere zu haben. Deren Steigerung, durch Zusammentreffen und Multiplizierung der „Zornquanten“, ohne deren Domestizierung durch die Kanalisierung der Energien führt zur sinnlosen, anarchischen Vergeudung von Kraft, schlimmstenfalls zu Gewalt. Domestizierung des Aufbegehrens, also dessen Integration ohne die bündelnde Steigerung, bedeutet jedoch ein reines Sammeln und Archivieren des Aufbegehrens. So entstehen höchstens Museen der Rebellion.

Erst die paradoxe Verbindung der Steigerung durch Domestizierung der dissidenten Kräfte, der Domestizierung durch deren Steigerung liefert das Rezept für eine funktionierende Zornbank. Durchsetzung und Integration der rebellischen Leidenschaften bedingen einander. In diesem Sinne bedeutet Zornbank ein erfolgreiches Scheitern des Aufbegehrens. Das ist die Formel für die undogmatische Linke. Damit hat aber Sloterdijk – auch wenn dies nicht ganz seine Intention gewesen sein mag – einen guten Einspruch gegen das schlechte Gewissen der Linken gefunden. Deren Institutionen brauchen sich nur zu fragen: Sind wir schon Museen unserer selbst – oder sind wir noch Zornbanken?

ISOLDE CHARIM