Wenn sich Träume erfüllen

Jeder zweite Deutsche hoffte beim letzten Lotto-Jackpot auf den großen Gewinn – ohne die Konsequenzen zu bedenken: Reichtum über Nacht macht das bisherige Leben schlicht unmöglich

VON MARIUS MEYER

Ein 41-jähriger Krankenpfleger gewinnt mit 37,6 Millionen Euro den größten Jackpot der deutschen Lotto-Geschichte – und will sein Leben nicht ändern. Ein Aufzugsmonteur erspielt sich bei „Wer wird Millionär?“ 1 Million und möchte auch in seinem Beruf bleiben, den er überhaupt nur deswegen ergriffen hat, weil er – wie er sagt – sein Studium wegen der Studiengebühren abbrechen musste. Millionen gewinnen und dann das bisherige, vertraute, vielleicht schöne Leben beizubehalten, ist ein frommer, ein verständlicher Wunsch – der schwer zu erreichen ist.

Der unbekannte Lottogewinner hat zwar noch eine kleine Chance, aber für Stefan Lang dürfte es ungleich schwerer sein. Weil er wusste, dass Sauerstoff das chemische Element ist, das mehr als die Hälfte der Masse des menschlichen Körpers ausmacht, wurde er bei Günther Jauch Millionär. Und 10,31 Millionen Fernsehzuschauer sahen zu. In einer Gesellschaft, die den Rang einer Person besonders über Einkommen und Vermögen definiert, könnte der millionenschwere „abgebrochene“ Student bald zwischen allen Stühlen sitzen. Sein Problem: die totale Transparenz seines Reichtums.

Was um der gebotenen Unabhängigkeit willen bei einem Bundestagsabgeordneten wichtig und notwendig ist, sollte man einem Millionengewinner nicht an den Hals wünschen. So raten Lotto-Gesellschaften ihren „Glückspilzen“, den Gewinn geheim zu halten, zumindest „wenn sie in ihrem sozialen Umfeld bleiben wollen“, sagt Elmar Bamfaste, Sprecher von WestLotto. Seine Gesellschaft betreut den Krankenpfleger, der den Rekordjackpot knackte. Er sieht in Langs öffentlichem Quizgewinn kein Problem, weil die Gewinnsumme von einer Million dann doch nicht so riesig sei. Langs Kollegen dürften da eine andere Meinung haben. Sicher freuen sie sich mit dem sympathischen Gewinner, aber irgendwann werden die Ersten denken, dass er ihren Job ja nur als Hobby betrachte. Lang wird bald Anfragen von vermeintlichen Freunden bekommen, die ihn um einen „günstigen Kredit“ anpumpen.

Der anonyme Jackpot-Gewinner kann versuchen, seinen Gewinn zu verheimlichen. Aber selbst wenn er nicht so öffentlich prasst, wie es der berühmt-berüchtigte „Lotto-Lothar“ tat, der sich auf den Titelseiten der Boulevardzeitungen zu Tode feierte, dürfte es schwer sein, einen zweistelligen Millionengewinn vor allen Bekannten geheim zu halten. Die Konsumverlockungen sind groß, und die Neugier der Nachbarn ist riesig, wenn ein Pfleger mit drei Kindern dann doch den neuen Oberklassewagen aus Schwaben fährt. Zudem wird er den Umgang mit einem solchen Geldbetrag kaum gelernt haben.

Verlassen die Gewinner hingegen ihr Umfeld und kaufen sich ein Haus in einem Reichenviertel, wird das soziale Leben auch nicht einfacher. Je größer die Vorher-Nachher-Differenz auf dem Konto ist, desto schwieriger wird es. Der Gewinner weiß nicht, wie man sich in diesen Kreisen bewegt und verhält. Und denjenigen, die sich ihre Millionen selbst erarbeitet haben, sind Lotto-Gewinner suspekt. Sogar Erben, die keine eigene Leistung erbracht haben, sehen in ihnen oft nur Emporkömmlinge.

Ein Beispiel dafür, dass Jackpot-Gewinner zwischen allen Stühlen sitzen, ist die Irin Dolores McNamara. Die Fließbandarbeiterin und sechsfache Mutter gewann letztes Jahr 115 Millionen Euro. Sie sehnt sich nach ihrem alten Leben zurück. Doch das bleibt ihr verschlossen: In ihrem Heimatort Limerick, den sie auf polizeilichen Rat inzwischen verließ, wird sie von allen geschnitten. Der Gewinn katapultierte sie aus der gesellschaftlichen Mitte in eine Parallelgesellschaft, in der sie sich nicht wohlfühlt.