„Auf Anhieb verstanden“

Über Stärken und Schwächen: Ein Gespräch mit Stefan Krohmer, dem Regisseur, und Daniel Nocke, dem Drehbuchautor von „Sommer ’04“ – über die Unterschiede zwischen Kino und Fernsehen und das gemeinsame Erzählen jenseits des Leidens

INTERVIEW HANNAH PILARCZYK

taz: Herr Nocke, nach sieben Filmen, die Sie gemeinsam gedreht haben – wie sehr denken Sie beim Verfassen Ihrer Bücher an Stefan Krohmer und was er daraus machen kann?

Daniel Nocke: Bei „Sommer ’04“ habe ich sehr stark an Stefan Krohmer gedacht und was er daraus machen kann (lacht).

Und wie äußert sich das?

Stefan Krohmer: Besorgnis! Schweißperlen auf der Stirn! Immer wieder ein Anruf: „Pass auf, ich habe mir überlegt, ich will die Szene so gestalten, denkst du, dass du das hinkriegst? Ist ja schon einigermaßen anspruchsvoll.“

Nocke: Nun, ich weiß ja ungefähr, was seine Stärken sind – und seine zahlreichen Schwächen.

Und die vermeiden Sie dann?

Nocke: Genau, man denkt: Die Szene kriegt der nicht hin und streicht die auch wieder. Nein, ich habe bei den entscheidenden Situationen die Sicherheit, dass Stefan nicht davorsitzt und sagt: „Was soll denn der Quatscht? Wo soll denn hier der Witz sein?“

Was sind die Stärken von Krohmer?

Nocke: Er kann Situationen so inszenieren, dass man nicht das Gefühl hat, es wäre vollkommen abwegig, was da passiert. Gerade bei unseren ersten Filmen wurden wir oft gefragt, ob Szenen improvisiert seien. Das sind sie aber nicht. Stefan hat sie einfach so spielen lassen, dass sie nicht mehr nach Drehbuch klangen.

Woher kommt das Vertrauen zwischen Ihnen? Instinktiv oder ist es erarbeitet?

Nocke: Am Anfang, bei unseren ersten Filmen auf der Filmhochschule, habe ich zum Teil noch gemeint, die Szenen vorspielen zu sollen. Aber ich habe schnell festgestellt, dass das unnötig ist.

Herr Krohmer, wie ist es im Gegenzug: Wenn Sie ein Drehbuch von Daniel Nocke vorgelegt bekommen, müssen Sie manchmal noch nachfragen, wie er das gemeint hat?

Krohmer: Also das Buch zu „Sommer ’04“ habe ich schon auf Anhieb einigermaßen verstanden. Aber natürlich führen wir schon noch Gespräche. Es ist eine relativ enge Zusammenarbeit, weil es uns auch um so eine Genauigkeit geht in unseren Filmen. Zum Beispiel schauen wir uns beim Casting oft die Probeaufnahmen gemeinsam an. So haben wir noch die Gelegenheit, zu überprüfen, ob wir da eine Sprache sprechen. Natürlich hat Daniel beim Schreiben schon eine genaue Vorstellung von einer Figur, aber das heißt noch lange nicht, dass sie darauf festgelegt ist. Es gibt immer einen gewissen Spielraum. Das hat ja auch mit der Besetzung zu tun. Zudem entwickelt sich eine Wechselwirkung zwischen den Figuren, die genau untersucht wird. Diese Phase bringt auch Aufschluss über die Haltung des Films zu seinen Figuren und die Haltung der Figuren zu ihrem eigenen Handeln. Bei „Sommer ’04“ war es so, dass Daniel das Buch ganz allein geschrieben hat und es keinen Einfluss gegeben hat von Redakteuren oder Produzenten. Die erste fertige Fassung, die wir herausgegeben haben, an der hat sich im Prinzip so gut wie nichts mehr geändert. Das führte zu einer Klarheit, einer Geschlossenheit, die alle Beteiligten – auch mich – schnell überzeugt hat.

Herr Nocke, Sie scheinen Ihre Filme weniger auf Figuren als konfliktreiche Szenen und Situationen aufzubauen – bei Ihrem letzten Fernsehfilm „Ein toter Bruder“ war es ein Jahrgangstreffen, in „Sommer ’04“ ist es der Sommerurlaub.

Nocke: Ja, das stimmt.

Was ist der Reiz daran?

Nocke: Ich schätze Filme mit interessanten Situationen. Wenn ich aus einem Film komme und mich frage, ob er gut war, frage ich mich meistens, ob er gute Situationen hatte. Das interessiert mich mehr als der reine Plot.

Kommt es Ihnen beiden deshalb nicht so sehr auf die Nachvollziehbarkeit an – eben weil Sie keine psychologisch ausbuchstabierten Figuren liefern? Herr Krohmer, Sie haben einmal gesagt, dass Sie nichts so langweile wie die von Fernsehredakteuren ständig eingeforderte Nachvollziehbarkeit von Figuren.

Krohmer: Nein, das muss ich präzisieren. Auf Nachvollziehbarkeit von Handeln kommt es mir schon an – aber nicht um ein absolutes Verständnis.

Nocke: Ja, man muss einfach nicht dauernd alles erklären. Das Handeln meiner Figuren soll schon nachvollziehbar sein. Aber bei diesem Film spüre ich ganz besonders stark kein Bedürfnis, dass die Figuren jeweils einen Freund haben, dem sie die ganze Zeit ihr Handeln erklären, damit das stellvertretend für den Zuschauer geschieht.

„Sommer ’04“ ist Ihr zweiter Kinofilm. Inwieweit hat es einen Unterschied gemacht, fürs Kino zu drehen?

Krohmer: Wir haben bei unseren Fernsehproduktionen immer das Glück, mit Leuten zusammenzuarbeiten, die grundsätzlich was mit unseren Sachen anfangen können. Insofern verbiegen wir uns auch nicht. Aber bei diesem Film ist es schon die absolute Freiheit gewesen. Wir konnten ihn eigentlich genau so machen, wie wir wollten.

Nocke: Natürlich machen wir beim Fernsehen auch das, was wir wollen, aber wir stimmen uns früher ab und suchen dann mit allen Beteiligten einen gangbaren Weg.

Schreibt man fürs Kino anders als fürs Fernsehen? „Sommer ’04“ ist meines Erachtens ein schwer konsumierbarer Film, der von der ersten Einstellung an eine innere Spannung hat, die nicht abfällt. Schwer vorstellbar, so was im Fernsehen mit seiner Abschaltmöglichkeit zu schauen.

Nocke: Ja, ich bin bei diesem Film von einem Publikum ausgegangen, das auch bereit ist, Dinge zu ertragen.

Mögen Sie die Figuren in „Sommer ’04“?

Nocke: Ich nehme an, die Frage zielt darauf ab, dass die Figuren nicht die klassischen Sympathieträger zu sein scheinen wie in anderen Kinoproduktionen. Aber mir gefällt es, dass unsere Figuren eine Distanz zu sich selbst haben – sie wollen eben keine Fernsehfiguren sein.

In dem Film sind die Frauen die, die ihre Bedürfnisse frei ausleben, ohne Rücksicht auf andere zu nehmen. Die Männer verhalten sich dagegen sehr passiv.

Krohmer: Ja, das ist richtig. Die beiden Frauen sind in diesem Fall aktiver, aber ich habe das nicht so gelesen, als sollte das eine Grundaussage sein über Frau und Mann im Vergleich.

Nocke: Die Männer der Familie würden sich selbst, glaube ich, nicht als passiv bezeichnen. Eher als gelassene Typen, die nichts dramatisieren, die sich nicht so aufregen wollen. Das ist deren Anspruch an ihre Männlichkeit.

Trotzdem gehen ihnen ihre Frauen abhanden …

Nocke: Sie versuchen zumindest, kein allzu großes Drama daraus zu machen. Hätten sie eine Szene draus gemacht, wären wir wieder beim Fernsehen gewesen, wo er sagt: „Bitte, bleib bei mir, ich brauche dich doch. Was mache ich falsch?“ Diese Fragen stehen bei uns natürlich auch im Raum, sie werden nur nicht permanent formuliert.

Krohmer: In der Art, wie der Film geschnitten ist, formuliert er ja auch gar nicht den Anspruch, etwas Vollständiges zu präsentieren. Wir haben uns bewusst auf bestimmte Ausschnitte konzentriert, weil es interessanter sein kann, den Konflikt zwischen den Figuren statt die unmittelbaren Folgen des Einschnitts zu fokussieren. Die anderen Szenen kann sich, glaube ich, jeder vorstellen.

Nocke: Genau. Jeder weiß, wie es aussieht, wenn Filmfiguren auf dramatische Ereignisse reagieren. Wie sie schluchzend zusammenbrechen oder ihr Leid herausschreien. Oder mit leerem Blick aus dem Fenster schauen.

Krohmer: Wenngleich das Szenen sind, für die Schauspieler dann auch Preise kriegen.

Nocke: Richtig. Aber es interessiert mich halt nicht, Szenen zu erzählen, die einfach nur leidende Menschen zeigen. Es sollte schon etwas dabei sein, was darüber hinaus geht.

Sie sind sehr eigenwillig beim Schnitt: Weniger wichtige Szenen gehen noch über die Pointe hinaus weiter, anderes ist kaum ausgespielt oder wird ganz ausgelassen. Schneiden Sie auch zusammen Ihre Filme?

Krohmer: Nockes Interesse für unsere Projekte scheint jedenfalls so weit zu gehen, dass ich ihn auch noch in der Schnittphase dazuholen kann und wir uns Muster gemeinsam anschauen.

Nocke: Ja, bei zwei, drei Szenen hat mich Stefan angerufen, und dann habe ich ihm meine Favoriten genannt.

Krohmer: Als Regisseur bist du ja der Mann an der Front. Mit den Schauspielern, der ganzen Situation am Set ist es ja eine ganz andere Ebene, die sehr emotional ist und von der du dich auch immer wieder befreien musst, wenn du als Regisseur in den Schneideraum gehst. Da ist es gut, wenn ein Cutter frisch dazukommt und dir den Blick auf dein eigenes Material noch mal schärft. Ab einem bestimmten Moment ist es aber auch gut, wenn noch ein Dritter dazukommt, und das ist dann immer Nocke.

„Sommer ’04“. Regie: Stefan Krohmer. Mit Martina Gedeck, Peter Davor u. a. Deutschland 2006, 97 Min.