Sogar ganz normales Geschmuse

Die Idee kam ihm ganz en passant: Jürgen Brüning hat das „1. Pornfilmfestival Berlin“ organisiert. Er findet nämlich, dass es gerade eine gute Zeit für den Pornofilm ist. Für den kommerziellen, den experimentellen und auch die Grenzfälle dazwischen

VON JAN KEDVES

Wenn nur nicht schon wieder eine Klage hereinflattert. Jürgen Brüning, der Mann, der dafür verantwortlich ist, dass derzeit halb Berlin mit rosaroten Plakaten tapeziert ist, hat durchaus etwas zu befürchten. Sein „1. Pornfilmfestival Berlin“, das heute startet, ist zwar eine völlig legale Angelegenheit – solange niemand unter 18 Jahren Einlass findet. Allerdings: Diese Plakate, auf denen drollige XXL-Comic-Sexpuppen herumfliegen, sind in einem Land, in dem für Pornografie nicht geworben werden darf, mindestens ein Grenzfall.

Nun ist Jürgen Brüning allerdings ein Mann, der sich mit Grenzfällen auskennt. Und das nicht nur rechtlich. In gewisser Weise ist der 48-Jährige sogar selbst ein Grenzfall: Seit Anfang der 80er-Jahre operiert er als Regisseur und Filmproduzent in der Grauzone zwischen explizitem Experimentalfilm und kommerziellem Hardcore-Porno. „Den alten Witz, dass der Unterschied zwischen Kunst und Pornografie nur darin besteht, dass Kunst teurer ist, halte ich in seiner Banalität erst mal für richtig“, sagt er, während er im Chefsessel seiner in Schöneberg ansässigen Produktionsfirma Wurstfilm sitzt und eine Zigarette raucht.

Kennt man Brünings eigenes Oeuvre, wundert es nicht, dass er für sein „1. Pornfilmfestival Berlin“ einen gesunden Querschnitt aus Cinema-of-Transgression-Klassikern und nagelneuen Kommerz-Pornos ausgewählt hat. In gewisser Weise stellt diese Selektion den vorläufigen Höhepunkt seiner Karriere dar.

Bislang hatte der mit Anfang 20 aus dem Rheinland nach Berlin geflüchtete Film-Enthusiast fast überall in der Stadt schon seine Finger mit im Spiel: Er war Mitbegründer des Eiszeit-Kinos und des Schwul-lesbischen Filmfests, war Kinoleiter im Arsenal und sichtete für die Berlinale. Und natürlich kennt man ihn heute als Produzent der „Politpornos“, mit denen der kanadische Filmemacher Bruce LaBruce regelmäßig für Kontroversen sorgt.

So beiläufig Brüning einem dann nacheinander von seinem Kappen-Faible („Der einzige Fetisch, den ich habe“) und von Porno-Dreharbeiten erzählen kann, so entschieden wird er zwischendurch immer wieder daran erinnert, dass es auch Menschen gibt, die das, was er tut, für fragwürdig halten.

Vor zwei Jahren zum Beispiel: Da sollte er der neue Leiter des Leipziger Dokumentarfilmfestivals werden – zumindest wünschte dies der damals scheidende Direktor Fred Goehler. Brüning hatte zuvor bereits zehn Jahre in der Auswahlkommission des Festivals gesessen. Als er in Leipzig dann aber der Findungskommission gegenübersaß, sollte er sich auf einmal doch wieder dafür rechtfertigen, dass er auch Filme wie „Gefangen im Analkerker“ produziert. „Da hab ich gesagt ‚Dankeschön, auf Wiedersehn!‘“

Oder gerade erst vor ein paar Monaten: Da landete auf seinem Tisch eine Klage der Rechteinhaber des berühmten Che-Guevara-Porträts des Fotografen Alberto Korda. Bruce LaBruce habe das Foto in seinem „schweinischen“ Film „The Raspberry Reich“ in den Dreck gezogen, beschwerten sie sich – und verlangten 750.000 Euro Schadensersatz. Verurteilt wurde Brüning dann zwar nur zu 5.000. Allerdings, erzählt er glucksend, wird er nun sicherstellen, dass in Zukunft jedes einzelne in dem Film vorkommende Che-Guevara-Bild durch die Einblendung „Fuck Copyright!“ unkenntlich gemacht wird.

Die Idee zu seinem „1. Pornfilmfestival Berlin“ kam ihm ganz en passant. Auf Wunsch einer Freundin aus Griechenland hatte er ein Programm für ein Pornokunstfestival in Athen kuratiert. Da dachte er: „Warum so etwas nicht auch in Berlin machen?“ Manchem Berliner mag solch ein Festival zwar nicht einleuchten – wo mittlerweile doch irgendwie alles Porno ist, von den Rappern der Stadt bis zu Spam-E-Mails. Jürgen Brüning allerdings findet, dass es gerade wieder eine gute Zeit für den pornografischen Film ist – weil immer mehr Frauen Regie führen, weil Lesben in ihrer Nische trotz geringer Budgets mit spannenden Filmformen experimentieren und weil es mittlerweile auch erfolgreiche transsexuelle Pornodarsteller gibt.

Tatsächlich dürfte es bei seinem Festival auch interessant sein zu beobachten, wie es funktioniert, wenn hunderte von Menschen gemeinsam einen 90 Minuten langen Porno anschauen – nach all den Jahren, in denen Pornokonsumenten dazu verdammt waren, in Sexshop-Einzelkabinen oder vor Computerbildschirmen zu monadisieren. Es dürfte an die 70er erinnern, an die Zeit vor dem Niedergang des Sexkinos. „Natürlich kann es auch langweilig werden“, überlegt Brüning. „Aber vielleicht führt es auch zu Erregungszuständen und Diskussionen!“

An Kurzfilme hat er bei seiner Auswahl sicherheitshalber auch gedacht – und die Selektion, von der er in diesem Zusammenhang spricht, klingt auf einmal gar nicht mehr besonders pornografisch. Zum Beispiel werde er einen Film zeigen, in dem nur Möbelstücke zu sehen seien, erzählt er. Und einen Film mit Katzen habe er auch ausgewählt. Ein Tierporno? „Nein, völlig normales Geschmuse“, versichert Jürgen Brüning grinsend. „Ich will doch nicht verhaftet werden!“

Bis zum 22. Oktober, Kant-Kino, Brotfabrik, Xenon, Arsenal, www.pornfilmfestival.de