Wille zur Kunst, Wille zum Feldzug

Berlin hat ein neues Ausstellungshaus für seine Skulpturensammlung: Das Bode-Museum ist wieder eröffnet. Ernst Eberhard von Ihnes Bau ist zwar keine architektonische Meisterleistung, geht aber über den reinen Repräsentationszweck hinaus

Mimetische Rekonstruktionen und Retro-Architektur können das Maß der Dinge nur dort sein, wo es noch etwas zu rekonstruieren gibt

von MARCUS WOELLER

Paragone heißt der Wettstreit der Künste. Das intellektuelle Projekt, die Rangfolge der klassischen Disziplinen Malerei, Bildhauerei und Architektur festzulegen, wurde in der Renaissance Italiens geboren. Während die Maler auf ihre illusionistischen Fähigkeiten verwiesen, punkteten die plastischen Künstler mit der Vielansichtigkeit ihrer Werke. Im Berlin der Gegenwart hat die Bildhauerkunst jetzt einige taktische Siege errungen. Und die Architektur einer wenig ruhmreichen Epoche darf auch ein bisschen triumphieren.

Berlin hat wieder ein Ausstellungshaus für die Skulpturensammlung. Das Bode-Museum wurde am Dienstag feierlich eröffnet und wird heute und morgen mit zwei Tagen der offenen Tür der Öffentlichkeit übergeben. Seit fast 70 Jahren war diese Sammlung, die zu den größten für Bildhauerkunst zählt, nicht mehr so umfassend zu sehen. Die plastischen Bestände der Staatlichen Museen zu Berlin (SMB) gehen zurück auf die brandenburgisch-preußische Kunstkammer, deren Ursprünge in der Sammelleidenschaft des Großen Kurfürsten liegen. Schnell wandelte sich die nach Privatgeschmack ausgesuchte Kollektion aber in eine nach kunsthistorischen Gesichtspunkten geordnete und durch massive Zukäufe erweiterte Sammlung, die den Hof und auch das gebildete Bürgertum erfreuen sollte. 1875 wurde sie in die Königlichen Museen eingegliedert.

Wilhelm von Bode war da gerade seit drei Jahren wissenschaftlicher Assistent an der Gemäldegalerie und hatte schon auf seiner ersten Dienstreise nach Italien für die Skulpturensammlung eingekauft. Obwohl kunsthistorischer Autodidakt und eigentlich Jurist, machte Bode schnell Karriere auf der Museumsinsel. Nicht nur, weil er mit Kaiser Wilhelm II. gut konnte, sondern vor allem, weil er Visionen für die Zukunft des Museums hatte und gewillt war, diese eigensinnig und wenn nötig starrköpfig durchzusetzen. 1905 wurde er der erste Generaldirektor und hatte gerade das Museum eröffnet, das seit 1956 auch seinen Namen trägt – „vormals Kaiser-Friedrich-Museum“ hängt heute als sperriger Zweitname am Bode-Museum und erinnert an Friedrich III., der als Kronprinz den Aufbau der Museumsinsel betreute, als Kaiser dann nach nur 99 Tagen Regierungszeit verstarb. Bode regte das Haus als Renaissance-Museum an. 1888 übertrug der Kaiser den Bauauftrag an Ernst Eberhard von Ihne, den Hofarchitekten und viel geschmähten Protagonisten wilhelminisch protzig auftrumpfenden Bauens.

Ganz so schlimm ist es nicht geworden, auch wenn Eleganz anders aussieht. Aber dafür steht am anderen Ende des Unesco-Weltkulturerbes das Alte Museum von Schinkel, und die Pathosformel wird von der Alten Nationalgalerie auch sublimer zitiert. Aber es gibt in Berlin abschreckendere Beispiele für einen alle Stile ohne Geschmack und Zurückhaltung vermischenden Historismus. Dem von Heinz Tesar für 152 Millionen Euro frisch restaurierten Bode-Museum kann man diesen Vorwurf nicht unbedingt machen. Denn von Ihne hat hier mit Bode in lebhaften Diskussionen und erbitterten Streitereien nicht nur ein wilhelminisches Repräsentationsgebäude auf die Spitze der Spreeinsel gestellt, sondern vor allem ein Funktionsgebäude, ein Museum neuen Zuschnitts. Für Peter-Klaus Schuster, Generaldirektor der SMB, gewinnt Berlin einen Palast zurück, ein Wasserschloss in der City.

Doch die allgemeine Begeisterung, die dem wiederhergestellten Bau entgegengebracht wird, stimmt auch skeptisch. Mimetische Rekonstruktion und illusionistische Retro-Architektur können nicht das Maß aller Dinge sein, sondern nur da, wo es auch noch etwas zu rekonstruieren gibt. Die SMB schielen schon seit langem auf den Schlossplatz, wo sie gern ihre außereuropäischen Sammlungen präsentieren würden. In ein neohistoristisches Stadtschloss würden sie wohl einziehen, um ihre Raumnot zu befriedigen und die Zentralisierung der Kunst in der Mitte der Stadt abzuschließen. Ein in die Zukunft weisendes Agieren wäre es jedoch nicht.

Ernst von Ihnes Historismus bedeutet in den unterschiedlich gestalteten Räumen des Bode-Museums in erster Linie historischen Eklektizismus. Die Innenarchitektur ordnet sich den Exponaten unter oder tritt in den mal mehr, mal weniger geglückten Wettbewerb mit der Kunst. Zentraler Raum ist die zweigeschossige Basilika. Mit dem 16 Meter hohen Saal mit Tonnengewölbe, Wandnischen und Obergadenfenstern ahmt von Ihne den Innenraum der florentinischen Kirche San Francesco al Monte nach und schafft einen monumentalen Andachtsraum für die Kunst.

Die Basilika ist aber auch Ruhepol eines labyrinthartigen Raumgefüges. Die zwei Hauptstockwerke des Bode-Museums erschließen sich über die beiden Treppenhäuser unter der großen und kleinen Kuppel. Hier wird wie eh und je noch der Herrschaftswille der Hohenzollern demonstriert. Vorn in der Eingangsrotunde von der ebenfalls rekonstruierten Monbijoubrücke aus bemächtigt sich der Große Kurfürst als monumentales Reiterstandbild des Prunkraums, am Ende der Zentralachse durch das Haus flankieren Friedrich der Große und seine Generäle die zweiläufig gekrümmte Treppe und markieren noch einmal, dass der Wille zur Kunst in Preußen immer auch durch den Willen zum Feldzug legitimiert war.

Die Chronologie der Skulpturensammlung beginnt dagegen in der Spätantike. Das Museum für Byzantinische Kunst kümmert sich um die Relikte aus der Zeit zwischen Christianisierung des Römischen Reichs und der Frührenaissance. Damals galt der Künstler noch nichts, doch das Werk viel. Herzstück ist das wandfüllende Apsismosaik der Kirche „San Michele in Africisco zu Ravenna“, das Christus als göttlichen Triumphator über seine überstandene Passion zeigt. Den Kosmos byzantinischen Kunstschaffens repräsentieren aber nicht nur religiöse Objekte wie Marmorreliquiare aus Syrien, Elfenbeinschnitzereien mit Märthyrerszenen oder Mosaikikonen. Eine Wand von Säulenkapitellen zeugt von der intensiven künstlerischen Überformung der Architektur im Vormittelalter. Floraler, ornamentaler, aber auch figürlicher Bauschmuck ziert Relieffragmente, Friesplatten und Sarkophage. Damit werfen die vier Räume im Erdgeschoss Licht auf eine Epoche, die gleichzeitig dunkler, aber auch viel heller erscheint als das Mittelalter.

Hier setzt die Skulpturensammlung an. Als sich die Künstler um Perspektive, Proportion und Harmonielehre noch nicht so viele Gedanken machen mussten wie einige Jahrhunderte später, entstanden heute ungelenk wirkende Plastiken der Gottesmutter, der Apostel und Heiligen. Eine häufig noch erhaltene Farbigkeit dramatisiert die Darstellung, etwa in der Pietà „Maria mit dem Leichnam Christi“ von 1435. Tilman Riemenschneiders Lindenholzskulpturen ist ein eigener Raum gewidmet. Er gibt seinen Figuren schon ein individuelles Gesicht. Die „Vier Evangelisten vom Münnerstädter Retabel“ aus den Neunzigerjahren des 15. Jahrhunderts könnten auch Porträts Würzburger Bürger sein, wären sie nicht durch identifizierbare Insignien ausgestattet, wie etwa Markus durch den Löwen.

Der dreieckige Grundriss des Bode-Museums weist den Deutschen, Niederländern und Franzosen die der Spree zugewandte Nordseite zu, während die Sonnenseite des Kupfergrabens den südalpinen Künstlern aus Italien gehört. Bei den Renaissancemeistern offenbart sich das Streben, nicht nur den Ausdruck zu vervollkommnen, sondern die Kunst auch formal zu durchdringen. In Donatellos Reliefplatte „Madonna mit vier Cherubim“ von 1440 ist die schrittweise Radikalisierung der Komposition noch erkennbar, die den Schönheitsbegriff der gerade abflauenden Gotik schlicht ignorierte. Die italienische Hochrenaissance bannte auch erstmals die lokale und überregionale Prominenz in Stein, wie zahlreiche Porträtbüsten beweisen. Auch hier galt die Verbindung von individueller Wiedererkennbarkeit und gleichzeitiger Ausdruckssteigerung als Ziel. Im Manierismus wurden die Möglichkeiten der Dreidimensionalität dann voll ausgekostet. Ein Bronzeherkules aus Florenz versucht sich in der Disziplin dynamisches Stehen, wogegen ein Wachsherkules von Bandinelli schon um die eigene Achse rotiert, während er den Riesen Kakus erledigt.

Was den Paragone angeht, verdeutlicht die Ausstellung, warum die Skulptur gegenüber der Malerei so oft ins Hintertreffen geriet. Im Tafelbild schafft sich die Malerei ihren eigenen Kontext, durch die Gestaltung eines narrativen Hintergrunds oder allegorischer Zuweisungen. Die Plastik hat es da schwerer, sie steht für sich selbst und ist schlimmstenfalls aus dem Kontext gerissen, wie die zahlreichen Sakralskulpturen beweisen. Ohne diesen kirchlichen oder architektonischen Zusammenhang wirken sie aber oft etwas vereinsamt. Wilhelm von Bode versuchte dieser Tendenz entgegenzuwirken, indem er Begegnungsräume von Malerei, Skulptur und Kunsthandwerk schuf. Das Bode-Museum von heute hat sich dieser Idee nur teilweise wieder angenommen. Die aus der Gemäldegalerie eingegliederten Bilder treten nur selten so gut in den Dialog mit der Bildhauerei wie im Raum der französischen Klassizisten, wo die Skulpturen die Antike verarbeiten und die Gemälde diesen Anspruch nicht nur illustrieren, sondern in den Kontext der Zeit setzen.