Linke Kinoträume

Ein Volksfest sollte das erste Filmfestival in Rom werden, und danach sah es zunächst auch aus. Doch dann kam der Unfall in der U-Bahn dazwischen

Mit der einkehrenden Stille setzte Besinnung ein: Was waren das eigentlich für Filme, die hier gezeigt wurden?

von BARBARA SCHWEIZERHOF

Kino oder Kirmes? Das war eine Frage, die sich aufdrängte, sobald man das Gelände des „1. Internationalen Filmfests Rom“ betrat. Der Weg zu den Kinos und zum roten Teppich war gesäumt von Containerbuden, die provisorisch die Festivalorganisation beherbergten, und Sponsoren-Ständen. Holzpodeste markierten Imbissbereiche, in denen das strömende Volk mit Pizza und Pasta versorgen wurde. An den Eingängen kontrollierten die üblichen Männer in dunklen Anzügen, während eine bestens gelaunte Polizei dahinter ein paar Metalldetektoren schwang und dabei stets betonte, es nicht allzu ernst zu meinen. Ein Ziel der Veranstalter war damit erreicht: Es herrschte Volksfeststimmung.

Man lege Wert darauf, dass es sich um ein Fest und nicht um ein Festival handelte, hörte man immer wieder. Ein alte linke Vision schien da auf: der Glaube an die Fortschrittlichkeit der Kultur, insbesondere des Kinos, der sich mit der Vorstellung verbindet, man müsse die Menschen nur an die Kultur heranführen, um das Projekt der Linken voranzutreiben. Die Filmschaffenden Italiens hatten den Beschluss der Filmfestgründung in Rom vor anderthalb Jahren noch als linke Initiative gegen Berlusconi aufgefasst, der die kulturpolitischen Schlüsselstellungen des Landes mit seinen Leuten besetzt hielt. Jetzt, mit Prodi an der Macht, hatte das Fest den Anstrich des Gegenkulturellen jedoch verloren und erschien in den Augen manchen Zaungastes als Selbstbeweihräucherung von Bürgermeister Walter Veltroni.

Nicht zuletzt wurde der Hang zum Volkstümlichen damit demonstriert, dass die Jury, die hier den mit 200.000 Euro außerordentlich hoch dotierten Preis vergibt, sich aus 50 römischen Kinogängern zusammensetzte. Regiealtmeister Ettore Scola stand dieser Bürgerversammlung vor und zeigte sich so gut auf Gruppendiskussionen vorbereitet, dass man auch darin ein Stück altlinker Tradition erkennen wollte.

Als in den ersten Fest-Tagen nacheinander Sean Connery, Nicole Kidman, Richard Gere, Martin Scorsese, Leonardo di Caprio sowie eine Reihe von Lokalmatadoren über den roten Teppich schritten und das Volk bei schönstem Herbstwetter herbeiströmte und ihnen zujubelte, schien es so, als könnte nichts und niemand den Erfolg dieses Fests mehr trüben. Dann aber passierte das Unglück in der römischen Metro. Fast übereilig setzten die Fest-Macher alle „mondänen“ Veranstaltungen aus, während die Rechte den Vorfall für sich ausnützen wollte: In Rom würde zu viel gefeiert.

Mit der einkehrenden Stille aber setzte auf einmal eine Art Besinnung ein: Was waren das eigentlich für Filme, die hier liefen? Mit der Ausnahme von Scorseses „The Departed“ hielten nur wenige dem Trubel, der um sie gemacht wurde, stand. „Fur“, der Eröffnungsfilm mit Nicole Kidman, gehörte nicht dazu. Und auch „Alatriste“, die bislang teuerste spanische Produktion, die Viggo Mortensen als degenschwingenden Legionär im Dienste des spanischen Königs zeigt, vermochte nicht wirklich zu begeistern. Umgekehrt erlebten manche Filme im Umfeld von wenig gelungenen italienischen Produktionen wie Giuseppe Tornatores „La Sconosciuta“ eine Aufwertung, die ihnen bei anderen großen Festivals nicht zugute gekommen wäre: Lasse Hallströms „The Hoax“ zum Beispiel erzählt packend und nicht ohne Sympathie für den Betrüger den Fall des falschen Howard-Hughes-Biografen Clifford Irving; Christopher Nolans „The Prestige“ verhandelt in der Parabel um die Feindschaft zweier Zauberer an der Schwelle der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert den Übergang von alten Täuschungen in die wahren Schrecken der neuen Technik.

Der eigentliche Wettbewerb wurde von den großen „Red Carpet“-Ereignissen gänzlich in den Schatten gestellt: Dort fand sich ein eigenartiger Mix aus bewährten Regisseuren wie Zhang Yimou, Robert Guédiguian und Otar Iosseliani, die hier ihre neuesten, aber irgendwie „kleineren“ Werke zeigten, und dem üblichen Satz an asiatischer Festival- und europäischen Restware – mit ein paar erwähnenswerten Ausnahmen wie dem italienischen Vater-Sohn-Drama „L’Aria Salata“, Debütwerk von Alessandro Angelini. Trotzdem: In der Stille der verordneten Trauer um die Opfer des Metro-Unglücks erschien das Programm mit seinen ganzen Extras, Nebenreihen und Special Events auf einmal überladen und unprofiliert. Zwar reiste noch Harrison Ford an, um den hier gestifteten Preis an den besten Agenten zu übergeben, und Robert de Niro, um die Zusammenarbeit des römischen Fests mit dem von ihm gegründeten Tribeca-Festival in New York zu bekräftigen, aber die richtige Volksfeststimmung wollte nicht mehr aufkommen.

Dennoch sind die Bilanzen, die die Festorganisatoren ziehen, positiv: Die Konkurrenz von Venedig düpierte man gleich schon mit sehr zuversichtlichen Meldungen über die Entwicklung des frisch installierten Filmmarkts. Nächstes Jahr allerdings sollen die beiden Festivals zeitlich entzerrt werden. Für das römische Fest wird es wahrscheinlich auf einen Termin im Dezember hinauslaufen. Ob das Volk aber ohne Herbstsonne noch so bereitwillig der Einladung zum Jubeln und Feiern folgen wird, muss sich erst noch zeigen.