der wochenendkrimi
: Blau-weiße Profiler

„Polizeiruf 110 – Mit anderen Augen“, So., 20.15 Uhr, ARD

Die Frauenleiche liegt im Bett, ihre Haut abgezogen im Badezimmer nebenan. Draußen vor dem Haus prasselt der Regen aufs Autodach, während die Ermittler in die Nacht starren. „Wie sollen wir den kriegen, Tauber?“, fragt Kommissarin Obermaier (Michaela May). „Einfach weiter arbeiten“, antwortet der Kollege (Edgar Selge).

Wir befinden uns in einem Serienkiller-Thriller, geredet wird so professionell wie in „Sie7en“ und gemordet so bizarr wie in „Manhunter“. Doch den beiden bayerischen Polizisten fehlt einfach das monströse Trauma, das sie nach der Logik des Genres zur Auflösung umso monströserer Verbrechen sensibilisiert. Deshalb nehmen sie widerstrebend die Hilfe des Profilers Heinrich Zermahlen (Udo Kier) an. Der soll mit geradezu übersinnlicher Intuition ausgestattet sein, lebt in einem Campermobil und weist auch sonst die Züge einer ausgewachsenen Soziopathie auf. Doch seine Gabe ist tatsächlich enorm: Er schließt sich am Tatort ein, und in fieberartigen Flashbacks eröffnet sich ihm der genaue Ablauf des Gewaltakts.

Wie eine Antwort auf die Schwemme amerikanischer Profiler- und Pathologenkrimis wirkt dieser „Polizeiruf“. Gegenwehr tut Not, schließlich hat Sat.1 schon mit „Navy CIS“ und „Criminal Minds“ zum Angriff auf den altehrwürdigen ARD-Krimi-Sendeplatz geblasen. Mit Buddy Giovinazzo, der einen Namen trägt, für den sich jeder wahre B-Filmer die Herzattrappe aus der Plastelinbrust reißen würde, hat man einen versierten Regisseur für den Gegenschlag gefunden: Der Italoamerikaner hat kleine US-Schocker wie „No Way Home“ gedreht, zieht aber seit geraumer Zeit eine ansehnliche Blutspur durch die deutsche Krimiprovinz, bei „Wilsberg“ und dem Münsteraner „Tatort“. Giovinazzo inszeniert klassisch, Abstecher in Psychotravestien à la De Palma inklusive. Das hätte leicht gewollt wirken können.

Doch gerade in der Profiler-Ranschmeiße (Buch: Christian Limmer) offenbart sich jetzt wieder die Größe des Münchner „Polizeirufs“. Die Charaktere sind so stark, sie halten jeder inszenatorischen Belastungsprobe stand. Im Laufe der Handlung etwa fügen sich Obermaier und Tauber wirkungsvoll ins Genreschema traumatisierter Ermittler, die lernen müssen, dass jeder in Gefahr ist, der sich in ihrer Nähe aufhält. Das hat bei Tauber fatale Auswirkungen. Denn auf der Jagd nach dem Frauenmörder darf der Griesgram im Single-Club „Romantica“ mit einer sexy verwitterten Rothaarigen tanzen, die Nase versonnen in ihrer Frisur und ein Auge wachsam auf die Verdächtigen im Laden. Am nächsten Morgen ist auch die Rothaarige tot – und Tauber mehr denn je zur Einsamkeit verdammt. CHRISTIAN BUSS