Der Kampf mit dem Gummi

Hauptschülerinnen werden viel häufiger ungewollt Mütter als Gymnasiastinnen. Das liegt aber weniger an mangelnder Aufklärung – die Praxis ist das Problem. Die Teenager wissen oft nicht, wie Pille und Kondom korrekt angewendet werden

VON CIGDEM AKYOL

Die Unterschichtsdebatte hat eine neue Gruppe erreicht: junge Mädchen, die ungewollt schwanger werden. Denn wie eine neue Studie der Universität Hamburg, der Beratungsstelle Pro familia und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zeigt, ist das Risiko für Hauptschülerinnen, ungewollt schwanger zu werden, fünfmal höher als für Gymnasiastinnen.

Das liegt aber nicht daran, dass Hauptschülerinnen mehrheitlich auf Verhütung verzichten: 60 Prozent der befragten Minderjährigen, die ungewollt schwanger wurden, beteuerten, die Pille oder ein Kondom benutzt zu haben. Offenbar haperte es aber an der korrekten Anwendung. „Die Studienergebnisse zeigen, dass geringe Bildung und soziale Benachteiligung das Risiko von ungeplanten Schwangerschaften deutlich erhöhen“, sagt Elisabeth Pott, Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.

Dass die Bildungskarriere eines Kindes von seinem sozialen Hintergrund abhängt, wissen wir spätestens seit der Pisa-Studie. Dass das Sexualverhalten ebenfalls von sozialen Schieflagen beeinflusst wird, ist weit weniger bekannt.

Es beginne damit, dass Mädchen aus unteren Gesellschaftsschichten „schon in der Schule weniger über Verhütung sprechen“. Die Sprachlosigkeit setzt sich offenbar zu Hause fort. „Die Mädchen können oft in der Familie mit niemandem reden“, so Pott. Denn sozial schwächere Eltern seien häufiger mit existenziellen Problemen beschäftigt und verbrächten weniger Zeit mit ihren Kindern.

Während das Durchschnittsalter der Mütter in Deutschland beständig ansteigt und derzeit bei 30 Jahren liegt, wächst auf der anderen Seite die Zahl derjenigen, die in ganz jungen Jahren selbst zu Eltern werden. 2004 waren in Deutschland 868 Mädchen erst 15 Jahre alt oder sogar jünger, als sie ein Kind zur Welt brachten, so das Statistische Bundesamt. Im letzten Jahr brachte in Hamburg eine Zwölfjährige ein Kind zur Welt. Die junge Mutter will die Schwangerschaft nicht bemerkt haben. Dies scheint widersprüchlich, wenn man bedenkt, dass keine Generation aufgeklärter ist als die heutige. Das Wissen über Verhütung ist groß. Immerhin 71 Prozent der Mädchen und 58 Prozent der Jungs achten nach eigener Aussage darauf, bei sexuellen Kontakten zu verhüten. Der Studie zufolge schützen sich Jugendliche beim ersten Sex deutlich häufiger mit Kondomen als vor 25 Jahren. „Dies zeigt, dass Anwendungsfehler bei der Verhütung ein großes Problem darstellen“, erklärt Pott. Der Beipackzettel der Pille bleibe ungelesen. „Manche wissen nicht, dass der Schutz der Pille durch andere Medikamente möglicherweise gemindert wird.“ Außerdem würden viele Jugendliche sich nicht trauen, über das Thema Verhütung zu sprechen. „Und der Junge denkt dann, sie wird schon die Pille nehmen“, sagt Pott. „Jugendliche aus sozial schwierigen Verhältnissen denken fatalerweise häufiger: Es ist schon mal ohne Verhütungsmittel gut gegangen, dann wird beim nächsten Mal auch nichts passieren.“

Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, kann diese Aussage bestätigen. Laut Kraus, der auch als Oberstudiendirektor an einem bayerischen Gymnasium arbeitet, sind die Ergebnisse der Studie „keine umwerfend neue Information“. Kinder aus bildungsfernen Schichten – dazu zählten nun mal viele Hauptschüler – seien weniger aufgeklärt als Gymnasiasten, sagte Kraus der taz.

Während seiner zwölfjährigen Zeit als Direktor an dem Gymnasium hingegen hat er lediglich eine Schwangerschaft erlebt. „Aber das Mädchen machte gerade ihr Abitur.“