„Ich sehe überhaupt keinen Fortschritt“

Die Finanzplanung des rot-roten Senats ist unzureichend, sagt die Wirtschaftswissenschaftlerin Beate Jochimsen. Sich nur auf Steuern vom Bund zu verlassen, sei gefährlich. Sie hält ein Schuldenmoratorium für eine gute Idee

taz: Frau Jochimsen, Rot-Rot will schon 2007 einen verfassungsgemäßen Haushalt erreichen. Ist das ein Erfolg?

Beate Jochimsen: Natürlich ist das schön. Es bedeutet ja, dass die Neuverschuldung nicht so hoch wie geplant ausfällt und dass die Investitionen nicht abgesenkt werden. Aber ob man es in einer Demokratie wirklich als Erfolg werten kann, dass die Regierung die Verfassung beachtet, sei dahingestellt.

Der Senat nimmt steigende Schulden in Kauf, das Hauptproblem Berlins, die Zinsbelastung, bleibt also bestehen.

Das ist richtig. Klar ist: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat es dem Senat unmöglich gemacht, kurzfristig auf neue Schulden zu verzichten. Aber natürlich muss die Regierung daran arbeiten, diese Neuverschuldung in den nächsten Jahren stark zu verringern, allein dieses Jahr werden ja 2,4 Milliarden Euro für Zinsen fällig. Und das finanzpolitische Konzept, das die Koalition jetzt in Teilen vorgelegt hat, ist dafür nicht geeignet.

Warum nicht?

Der Senat verlässt sich vor allem auf den warmen Geldregen durch den Bundestrend: steigende Steuereinnahmen in Folge der Mehrwertsteuererhöhung und der anspringenden Konjunktur. Sich auf diese Entwicklung zu verlassen, ist gefährlich – zumal die Solidarpaktmittel für die Ost-Bundesländer bis 2019 auslaufen. Kurz: Die Konjunktur Restdeutschlands wird Berlins Probleme nicht lösen.

Müsste Sarrazin nicht längst mit Banken über einen Stopp der Zinszahlungen verhandeln?

Das ist eine Idee, die ich sehr unterstützen würde – in der Wissenschaft spricht man von Insolvenzverfahren für Gebietskörperschaften. Ihr Ziel ist, die Gläubiger – vor allem Banken oder Fonds – an einen Tisch zu holen und einen Teilverzicht auf Schulden oder die Stundung der Zinsen auszuhandeln. In den USA ist dies für Gemeinden seit über 70 Jahren möglich.

Warum gibt es so etwas nicht in Deutschland?

Weil durch das bündische Prinzip der Bundesrepublik und die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts de facto Bund und andere Bundesländer für die Schulden eines Landes einstehen werden. Es gibt also einen Haftungsverbund. Die Idee, die dahintersteht, ist: Der Bund soll notleidenden Bürgern am Ende helfen. Leider schützt das Prinzip vor allem die Gläubiger. Für sie ist das ja ein gutes Geschäft: Sie leihen der Gebietskörperschaft – in diesem Fall Berlin – immer mehr Geld, trotz ihrer heiklen Finanzlage. Denn sie wissen: Im Zweifel zahlen die anderen.

Davon unabhängig: Welche finanzpolitische Strategie würden Sie dem Senat empfehlen?

Er muss die Ausgaben weiter senken und die Einnahmen steigern. Die Erhöhung der Grund- und Grunderwerbssteuer ist ein erster Schritt. Aber es ist vorschnell, Verkäufe von Landeseigentum auszuschließen. Mit maßvollen Privatisierungen lassen sich die Zinsausgaben dauerhaft senken. Und was die Ausgaben angeht: Da sehe ich ehrlich gesagt überhaupt keinen Fortschritt, sondern Mehrkosten, zum Beispiel für Gratis-Kitas. Ein durchdachtes Konzept sieht anders aus.

Wenn Berlin alle Wohnungen verkauft, nimmt man maximal 5 Milliarden Euro ein, die Zinsen sänken um 200 Millionen Euro. Das reicht nicht.

Ja, die Einzelmaßnahme, die die Probleme schlagartig löst, gibt es nicht. Ich vermisse eine finanzpolitische Idee, die mehrere Dinge für ein Ziel kombiniert. Wenn Rot-Rot wie angekündigt regiert, gibt es für Berlin zwei Perspektiven: Entweder die Konjunktur wächst und wächst und rettet die Stadt über den Länderfinanzausgleich – sehr unwahrscheinlich. Oder die Schuldenspirale dreht sich so weit, dass auch unangenehme Kürzungen nicht mehr helfen können – dann klopft Berlin wieder beim Verfassungsgericht an. INTERVIEW: U. SCHULTE