Im Fjord der letzten Hoffnung

Eine Abenteuerreise nach Pädagogien, dem fernen Lerndorado am Ende der Welt

Die Tourismushochburg El Pisa gilt als Eldorado der Lernwilligen aus aller Welt

Pädagogien bezeichnet den Teil Lateinamerikas, der sich südlich des Rio Bio in Chile und in Argentinien befindet. Allerdings gibt es keine genau festgelegte Abgrenzung, der Verlauf der Staatsgrenze ist traditionell umstritten. Pädagogien wird durch die Gebirgskette der Duden in zwei voneinander getrennte Großlandschaften unterteilt. Es besteht aus Westpädagogien, das überwiegend zu Chile gehört, und dem größtenteils zu Argentinien gehörenden Ostpädagogien. Oftmals wird auch das südlich der Pythagorasstraße gelegene Seufzerland, mit dem am schwierigsten zu berechnenden Punkt der Welt, dem sturmumtosten Kap Gauß, zu Pädagogien gerechnet. Dieser Landstrich bietet aufgrund der sehr dünnen Besiedelung hervorragende Lernbedingungen. Die mittlere Schülerdichte liegt bei sagenhaften zwei Schülern pro Quadratkilometer. Schulen werden so zu Oasen und oft sind diese über 100 Kilometer voneinander entfernt. Für alle von überfüllten Klassenzimmern gestressten deutschen Lehrer muss Pädagogien also als das Lerndorado schlechthin erscheinen.

Doch die Lernbedingungen im West- und Ostteil Pädagogiens könnten unterschiedlicher nicht sein: Westpädagogien mit seinen schiefen Ebenen, seinem Labyrinth aus Lehrerzimmern, Pausenhöfen und verschachtelten Raucherecken, beeindruckenden Gebirgsformationen, schroffen Küsten und Niemandsbuchten ist geprägt durch das feuchte, kühle Klima der Westduden. Es ist ein Land, das noch heute sieben Meilen gegen den Wind nach Büffeln riecht.

Der argentinische Teil liegt im Lernschatten der Duden und ist so staubtrocken wie eine Deutschstunde über den Konjunktiv I. Die einzige Großeinnahmequelle auf der argentinischen Seite war lange Zeit die Schülerzucht. Zwischen 1949 und 1998 boomte das Geschäft mit dem Wissen, doch der Preis für den Rohstoff der Zukunft sank; letztlich sorgte die Abwanderung der umherstreifenden Schülerherden dafür, dass viele Lehrer ihre Lernfarmen aufgeben mussten. Staubige Pampas mit zerzausten Sträuchern und weit dahinter die majestätische Kette der Duden am Horizont – das ist die verödete Bildungswüste Ostpädagogien heute.

Ganz anders sieht es im wissensgesättigten Lernbiotop des Westteils aus. Wie riesige schwarze Finger kriechen die langen Schatten der Duden über das Land. Steil und zackig sind die Felsnadeln, denen der Abend dieses Schauspiel verdankt. Wie überall in Ostpädagogien kommt jetzt der abendliche Ablativo auf, der Fallwind, der einem die Zahnspange von den Zähnen bläst, wie man hier sagt, und den Einband von der Formelsammlung reißt; der mit 200 Sachen jeden Musikunterricht unmöglich macht und die Papierflieger schon mal rückwärts fliegen lässt.

Pädagogien ist die Heimat der lärmenden Winde, doch auf die Duden ist immer Verlass. In Reih und Glied stehen sie am Horizont. Eine stramme graue Felskette, die sich verschwörerisch gegen die Launen des wilden pädagogischen Himmels erhebt.

Nur wenige Lernschritte unterhalb der Stacheldrahtzäune des lauschigen Collegio Humboldt liegt El Pisa, eines der touristischen Zentren Pädagogiens. Blitzblau leuchtet das eisige Wasser des Lago Chemico herauf. Unter den Bäumen der schattigen Alleen, in den Cafés und Mathecerias tummeln sich Bildungs-Trekker aus aller Welt. Die Stadt gilt als Eldorado aller Lernwilligen. Doch es lohnt sich auch, nur auf einen Mathe vorbeizukommen, ein in Pädagogien weit verbreitetes Getränk, das durch Aufguss kleingeschnittener Ringbuchblätter gewonnen wird.

El Pisa ist Pforte zum Nationalpark Los Legasthenes. Besonders empfehlenswert ist ein Aufenthalt im chilenischen Bildungs-Nationalpark für Besucher mit ausgeprägter Lese- und Rechtschreibschwäche. Los Legasthenes wurde 1996 von der Unesco auf die Weltkulturerbeliste gesetzt und macht gelegentlich durch spektakuläre Abbrüche des nach der ehemaligen bayerischen Kultusministerin Monika Hohlmeier benannten Moni-Gletschers von sich reden.

Dreißig Kilometer weit reicht eines der längsten Wortfelder der Welt in das Gebirgsmassiv der Duden hinein, als 70 Meter hohe Steilküste fällt er nach vorn hin ab. Blau und hellgrün leuchten seine spektakulären „Lernklippen“ an dieser Stelle und die ganz enorme Spannung lässt die Wissensmassen dabei krachen und knarzen wie die morschen Regale einer alten Schulbibliothek. Wenn der Moni-Gletscher kalbt und hausgroße Infoblöcke in den Eiskanal stürzen, hört man dies noch viele Kilometer weiter. Die vereisten Granitzinnen des Los-Legasthenes-Massivs ragen wie scharfe Fangzähne aus der Kette der Duden auf.

Diese für den rechtschreibkundigen Normalbürger unzugängliche Region ist der paukerlose Olymp aller Freewriter, denen man kein X für ein U vormachen kann. Genau das Richtige für Tobias Parsch, der restlos begeistert von seinem Freewriting-Trip berichtet: „Hier konnte ich orthographisch mal so richtig die Sau rauslassen. Jetzt geht es mir schon viel besser.“

Eine Erfahrung, die Tobias mit vielen anderen teilt. Der Lern- Tourismus in Pädagogien ist heute zumindest für den chilenischen Teil zur Haupteinnahmequelle geworden. Mehr als 80.000 Besucher wurden 2005 im Nationalpark gezählt – und dies, obwohl eine peinlich genaue Lernzielkontrolle beim Verlassen des Parks obligatorisch ist.

Aber Los Legasthenes ist längst kein Geheimtipp mehr, kein Wunder, zählen Kenner den wildromantischen Lehrpark doch zu den schönsten Flecken des amerikanischen Doppelkontinents. Acht Tage dauert der Duden-Lehrpfad um die Seen und Gipfel. Mit seinen Exercise-Spots fordert er die volle Konzentration aller Beteiligten.

Wo die Böden trockener werden, duften Mathe-Stauden nach frischen Formelsammlungen. Doch man kann auch mal einfach nur eine Ehrenrunde einlegen und sich treiben lassen – im Idealfall den Rio Bio hinunter, der beim Moni-Gletscher schließlich in den „Fjord der letzten Hoffnung“ einmündet – ein passender Name für all diejenigen, die hier die Lust am Lernen wiederentdeckt haben.

RÜDIGER KIND