Lehrerinnen mit Kopftuch kritisieren Deligöz

Muslimische Frauen aus Nordrhein-Westfalen bezeichnen den Aufruf der Grünen-Politikerin Ekin Deligöz, das Kopfuch abzulegen, als „Anmaßung“. Die Annahme, dass äußerliche Assimilierung zu besserer Integration führe, sei naiv

DÜSSELDORF taz ■ Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Ekin Deligöz hat jetzt auch muslimische Frauen gegen sich aufgebracht. Ihren Aufruf an die Musliminnen in Deutschland, ihr Kopftuch abzulegen, hatten bisher nur männliche Islamvertreter kritisiert. Nun schreibt die Initiative für Selbstbestimmung in Glaube und Gesellschaft (ISGG), ein Zusammenschluss von überwiegend zum Islam konvertierten Lehrerinnen aus NRW, in einem offenen Brief an Deligöz: „Den Appell […] empfinden insbesondere wir deutschstämmigen Musliminnen als Anmaßung.“ Er basiere auf der „etwas naiven, aber populären Annahme, dass die äußerliche Assimilierung einer Minderheit dazu führe, dass sie besser integriert, sprich nicht mehr diskriminiert wird“. Um ihre Kritik an Deligöz’ Aufruf zu untermauern, bemühen die Verfasserinnen Hannah Arendt: Die Totalitarismusforscherin habe gezeigt, dass Juden, die wegen gesellschaftlichen Drucks auf ihre Kippa verzichteten oder gar zum Christentum konvertierten, in der Nazizeit nicht vor Verfolgung geschützt waren. „Im Gegenteil: Nun verfolgte man die ‚Anderen‘ nicht mehr wegen ihrer Religion […], die Gene, das Blut machte plötzlich das ‚Judesein‘ aus“, heißt es in dem Brief.

Die Verfasserinnen sind dieselben, die in NRW den Widerstand gegen das Kopftuchverbot proben und trotz des seit August geltenden Gesetzes weiter in religiöser Tracht zur Arbeit gehen. Die Aufsichtsbehörde im Regierungsbezirk Düsseldorf bereitet zurzeit „Untersagungsverfügungen“ vor. Dort sind es fünf Lehrerinnen, die das Verbot ignorieren – von landesweit zwölf Kopftuchträgerinnen. Eine Durchsetzung des Verbots ist aber noch lange nicht in Sicht: Die Betroffenen können gegen die Untersagungsverfügungen klagen. Und die Politik kann nicht davon ausgehen, dass sich die Justiz auf ihre Seite schlägt: Im Juli gab das Verwaltungsgericht Stuttgart der Klage einer muslimischen Lehrerin gegen das baden-württembergische Kopftuchverbot statt. Zur Begründung hieß es, die Anweisung, ohne Kopftuch zu unterrichten, verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz im Grundgesetz und die europäische Menschenrechtskonvention. Für die Kopftuch tragenden Lehrerinnen in NRW ein Antrieb, ihren Widerstand aufrechtzuerhalten.

„Wenn uns keine andere Möglichkeit gelassen wird, dann steht uns nur der juristische Weg offen“, sagt ISGG-Vertreterin Gabi Boos-Niazy. Dass die Abgeordnete Deligöz ihre Meinung äußern und nicht dafür bedroht werden dürfe, stehe für sie außerhalb jeder Diskussion. Mit ihrer Aufforderung an die muslimischen Frauen, das Kopftuch abzulegen, unterstütze die Grüne jedoch ein zunehmend feindseliges Klima gegen Muslime in Deutschland: „Nicht nur muslimische Lehrerinnen werden diskriminiert.“ Aus vielen Gesprächen wisse sie, dass die Diskussion um Kopftuchverbote zunehmend auch andere Berufsgruppen beeinflusse: „Wenn Kopftuchträgerinnen sich um Arbeitsplätze bewerben, bei denen der Kundenkontakt im Vordergrund steht, haben sie es schwerer als noch vor zehn Jahren“, so Boos-Niazy. NATALIE WIESMANN