Stalins Schatzkammer

Das MoMA des Kunsthandwerks: Eine sensationelle Ausstellung in Georgien zeigt grandiose Andenkenkunst des 20. Jahrhunderts aus dem Besitz des Sowjet-Diktators

TBILISSI taz ■ Arm, aber sexy, das wäre Tbilissi auch gern. Dann könnte sich die Stadt ebenfalls Dinge leisten wie Berlin, das sich als Kunst- und Kulturmetropole in der Welt präsentiert. So wie neulich in den Metrostationen von Tbilissi, wo der georgische Hauptstädter mit großer Werbung auf die internationale Messe für Gegenwartskunst Art Forum Berlin hingewiesen wurde. Dafür hab’nse Geld, könnte man jetzt als Verfassungsrichter sagen, aber was wissen die Karlsruher Kulturbanausen schon von der Kunst. Würden die Menschen nur halb so viel Kunst austauschen wie Waffen, die Welt wäre bekanntlich eine bessere.

Schon deshalb ist es schade, dass nicht auch hierzulande für eine Ausstellung in Georgien geworben wird, die es wahrlich verdient hätte. In Gori, einer kleinen Stadt, eine Autostunde von Tbilissi entfernt, zeigt eine sensationelle Exposition grandiose Andenkenkunst aus dem 20. Jahrhundert. Ja, man könnte sagen, es ist eine Art MoMA des Kunsthandwerks, nur leider ohne Warteschlangen. Nix mit Event also, aber das macht nichts, weil die Strahlkraft des verborgenen Schatzes Ereignis genug ist, um Herz und Sinne des Besuchers zu rühren.

Die Sammlung mit Exponaten von unbeschreiblicher Schönheit ist einem Mann zu verdanken, der zu den größten Kunsthandwerkfreunden des 20. Jahrhunderts zählt: Iosseb Bessarionis dse Dschugaschwili, besser bekannt als Josef Stalin. Der Sohn eines georgischen Schuhmachers aus Gori hat in seinem Leben zahlreiches Kunsthandwerk zusammengetragen, wobei ihm sein Hauptjob als Staatschef der UdSSR sehr zugutekam. Als solcher wurde er reich beschenkt mit Knüpf-, Schnitz- und Töpferwerk aus dem In- und Ausland. Bereits ein Jahr nach seinem Tod im Jahre 1956 öffnete in Stalins Heimatort das Museum über den großen Sohn der Stadt. Es dokumentiert nicht nur, wie er vom einfachen Bauern zum weltweiten Führer der Werktätigen wurde, sondern präsentiert auch die eindrucksvollsten Belege für seine Verehrung durch die Kunsthandwerktätigen in aller Welt.

Von Meistern aus Holland bekam der Schustersohn 1949 kleine rote Holzpantinen, verziert mit weißer Lackmalerei, geschenkt. Dass wahre Volkskunst jenseits elitärer Verspielt- und Abgehobenheit wurzelt, offenbart sich dem Betrachter auch beim Anblick eines Paares Clogs, das zugleich Hommage an einen zweiten großen Mäzen des 20. Jahrhunderts ist. Während sich aus dem linken Holzpantoffel das von einer Friedenstaube umflatterte Konterfei Stalins erhebt, wächst auf dem rechten Stück das Antlitz von Lenin aus dem Geschnitzten, zudem eine geballte Faust – was Kunsthistoriker als versteckten Hinweis des Künstlers auf Lenins Verhältnis zu Stalin werten. Kann ein Holzkopf schöner sein? O ja, dank der Fertigkeit eines unbekannten Künstlers, der Stalins rustikales Wesen stilvoll in einem Holzstamm nachzeichnete.

Aber auch kleinstes Kunsthandwerk kann in seiner Schönheit riesengroß sein, wie jenes bunt bemalte Holzschächtelchen – ein Geschenk von Stalin-Sohn Wassili – bezeugt, auf dem ein Segelboot durch schwere See sich bricht. Was für ein wohltuender Kontrast zur vermeintlich modernen Kunst mit ihrer Was-soll-es-bedeuten-Mystik, die im Westen längst den bodenständigen Massengeschmack tyrannisiert.

Keine Fragen gibt es dagegen beim Anblick der wertvollen Preziosen aus Porzellan. Vasen aus China, Polen, der ČSSR und Frankreich betören mit ihrer gemalten Poesie schlicht die Sinne des Betrachters. Welch ein Segen für die Nachwelt, dass Stalin so ein Blumenfreund war. Und Raucher. Was muss ihm das Herz übergegangen sein, als er das erste Mal das Aschenbecher-Service mit Hammer und Sichel, geschaffen von italienischen Künstlern, erblickte! Oder das braune Boot aus glasiertem Keramik, ein Geschenk aus Polen.

Der Besucher ist einfach überwältigt vom Kaleidoskop der Herrlichkeit: das Weinfässchen aus Mailand, der Samowar aus Tula, das Schifferklavier aus der Moskauer Akkordeonfabrik, der güldene Panzer mit Tischlampe. Und erst die kostbaren Stalin-Ikonen: der Wandteppich aus Aserbaidschan, das Mosaik aus Tadschikistan, das chinesische Gemälde mit dem Bildnis von Stalin und Mao Tse-tung. Aus dem Reich der Mitte stammt auch ein edel verzierter Silberteller im Stile der DFB-Meisterschale, den eine Delegation des chinesischen Kulturministeriums 1999 überbrachte.

Diese grandiose Andenkenschau nur in Gori zu zeigen, ist fast so frevelhaft wie die Verkennung Stalins als einer der größten Kunsthandwerksammler aller Zeiten. GUNNAR LEUE