Kein Wisst-Ihr-noch-Effekt

Brokdorf und Barschel-Ehrenwort: Das Volkskunde-Museum in Schleswig zeigt „Erinnerungsorte“ aus Schleswig-Holstein. Die Ausstellung zeugt vom Mut zur Lücke

Klar, daran erinnern sich die Schleswig-Holsteiner, und nicht nur die: wie Ministerpräsident Uwe Barschel 1987 „mein Ehrenwort, ich wiederhole, mein Ehrenwort“ gab, das sich später als Lüge erwies. Und auch daran erinnert sich das Land zwischen den Meeren: wie in Brokdorf demonstriert wurde und Wasserwerfer gegen Anti-AKW-Aktivisten auffuhren. Wer sich in der Geschichte auskennt, der erinnert sich an den Kieler Matrosenaufstand von 1918 oder an die Schlacht bei Idstedt, 1850.

Was aber ist das „Programm Nord“? Eine Infrastrukturmaßnahme in den 1950er Jahren und nach Meinung des Schleswiger Volkskunde-Museums von gleichem Rang wie Idstedt, Brokdorf und das Barschel-Ehrenwort: nämlich ein schleswig-holsteinischer Erinnerungsort.

Am Sonntag eröffnet das Museum eine Dauerausstellung mit diesem Titel, einen Rundgang durch rund 150 Jahre Landesgeschichte, chronologisch aufgebaut zwar, aber nicht auf bestimmte Felder beschränkt: „Erinnerungsorte“ sind die Rendsburger Synagoge und Thomas Manns Geburtshaus in Lübeck – als Buddenbrook-Haus aus Marzipan zu bewundern. Aber auch Symbole wie die Fahne mit der Doppeleiche.

Sogar „die Bundeswehr ist ein Erinnerungsort“, erklärt Museumsleiter Dr. Carsten Fleischhauer. Denn in den 1980er Jahren arbeiteten immerhin sechs Prozent der Schleswig-Holsteiner bei der Truppe – dreimal mehr als im Bundesschnitt. 16 Stationen umfasst die Ausstellung, die so aufgebaut sind, dass verwandte Themen in Blickweite liegen; etwa der Küstenschutz und dessen Pervertierung im „Adolf-Hitler-Koog“, einem Modellprojekt des „Dritten Reichs“.

50 bis 60 mögliche „Orte“ standen ursprünglich auf der Liste. Beim Rundgang fällt eher auf, was fehlt, als das, was da ist: Ereignisse mit dem Wisst-Ihr-noch-Effekt, etwa die Schneekatastrophe 1978/79, aber auch prägende Dinge wie die Minderheiten im Land. Es fehlen Frauengeschichte und Frauen, die Geschichte machten: Heide Simonis etwa, die erste deutsche Ministerpräsidentin. War denn der „Heide-Mord“ 2005 nicht von ähnlicher Dramatik wie das Barschel-Ehrenwort?

Ko-Museumsleiter Guntram Turkowski steht zum Mut zur Lücke: „Wir wollen, dass die Leute sich ihre eigenen Orte hineindenken.“ So ist die letzte Station der Comic-Figur „Werner“ gewidmet, dokumentiert mit einer Zeichnung, einem selbst gebauten Motorrad von Andi Feldmann, dem Bruder des Werner-Vaters Rötger Feldmann, und natürlich vielen Bölkstoff-Flaschen: besoffen auf der Schüssel, die Bullerei im Nacken – daran erinnern sich sicher viele Schleswig-Holsteiner gern.ESTHER GEISSLINGER

Die Ausstellung ist ab Sonntag, 12. November, im Volkskunde-Museum Schleswig zu sehen