„Illegal und lebensgefährlich“

Vladimir Sliviak:„Der Import des Gronauer Atommülls bricht russisches Recht“Anna Parshina: „Ich habe größere Angst vor radioaktiver Verseuchung als vor unserer Regierung“

INTERVIEW ANDREAS WYPUTTA

taz: Frau Parshina, Herr Sliviak, am Donnerstag haben Sie bei der Staatsanwaltschaft Münster Strafanzeige gegen den Gronauer Urananreicherer Urenco gestellt. Warum?

Vladimir Sliviak: Weil die Atommülltransporte von Gronau nach Russland lebensgefährlich und damit illegal sind. Wir, die russischen Umweltschützer von Ecodefense, wollen auch in Deutschland strafrechtlich gegen Urenco vorgehen – genau wie in Russland.

Die Transporte mögen gefährlich sein. Aber sind sie deshalb illegal?

Sliviak: Der Import von Atommüll bricht russisches Recht. Außerdem – und das wäre besonders für die deutschen Behörden interessant – könnte Urenco in einen aktuellen Bestechungsfall verwickelt sein. Immerhin steht gerade sogar der ehemalige russische Atomminister Jewgenij Adamow vor Gericht. Ihm wird vorgeworfen, von der US-Regierung zur Verfügung gestelltes Geld unterschlagen zu haben, das zur Sicherung der maroden russischen Atomanlagen dienen sollte.

Und was hat die Urenco – immerhin Tochter der großen Energieversorger RWE und Eon – damit zu tun?

Sliviak: Das russische Umweltgesetz verbietet illegale Müllentsorgung. Das gilt natürlich erst recht für den Import von Atommüll in großem Stil. Der Prozess gegen den Ex-Atomminister zeigt doch, wie korrupt selbst hochrangige Vertreter der russischen Atomlobby sind. Wir von Ecodefense halten es für durchaus denkbar, dass auch die Urenco Schmiergelder gezahlt hat – oder bis heute zahlt.

Was genau geschieht denn in Russland mit dem Atommüll aus Gronau?

Sliviak: Nur ein kleiner Teil – wir schätzen etwa zehn Prozent – wird durch Wiederanreicherung aufbereitet und geht dann zurück nach Deutschland. Der Rest bleibt in den Atomanlagen von Sewersk nahe dem sibirischen Tomsk oder in Novouralsk bei Jakaterinburg am Ural.

Und wird dort wie gelagert?

Parshina: Unter freiem Himmel. Atommülllager wie in Deutschland existieren nicht. Die mit den Gronauer Uranhexafluorid gefüllten Fässer stehen einfach herum und rosten vor sich hin.

Woher wissen Sie das?

Parshina: Von ehemaligen Mitarbeitern der Atomfabriken. Diese ehemaligen Kombinate unterstehen bis heute dem Militär, deshalb ist es für uns sehr schwierig, an Informationen zu kommen. Die offiziellen Stellen jedenfalls geben nichts heraus – fast wie zu sowjetischen Zeiten, als das Atomprogramm Staatsgeheimnis war. Heute aber reden manche der ehemaligen Mitarbeiter dieser Atomkombinate. Nur deshalb wissen wir von den vielen verschiedenen Unfällen, bei denen Radioaktivität ausgetreten ist.

Mit welchen Folgen?

Parshina: Bei dem bisher letzten großen Störfall ist meine Heimatstadt Tomsk einer Katastrophe nur knapp entkommen. Gerettet hat die 500.000 Einwohner nur der Wind: So zog die radioaktive Wolke aus der Atomfabrik Sewersk nur über dünn besiedeltes Gebiet.

Und verstrahlte die Menschen dort?

Sliviak: Ja. Die durchschnittliche Lebenserwartung in der Region Tomsk beträgt nur 48 Jahre. Halten Sie das für normal?

Parshina: Die völlig unzureichenden Sicherheitsvorkehrungen sind unser größtes Problem: Gronauer Atommüll wird in Sewersk in Fässern unter freiem Himmel, anderer Atommüll auch unterirdisch gelagert. Es gibt aber auch offene Becken mit radioaktiver Flüssigkeit. Die sind bereits übergelaufen und haben den Fluss Romaschka verstrahlt.

Und was geschieht zum Schutz der Anwohner?

Parshina: Nichts. Die Romaschka fließt in Tomsk in den Fluss Tom, der ins Nordmeer mündet. Was noch schlimmer ist: In den Dörfern dient der Fluss Tom noch immer zur Trinkwassergewinnung. Offiziell ist das natürlich verboten – aber die Menschen trinken das Wasser einfach und essen natürlich auch Fisch, den sie in der Romaschka und im Tom gefangen haben.

Dann müsste doch auch die Zahl der missgebildeten Kinder größer werden.

Sliviak: Um die Atomkombinate herum steigt die Zahl der Missbildungen, das ist offensichtlich. Offizielle Statistiken gibt es dazu aber nicht. Dabei können wir nur beobachten, was sich außerhalb der mit Stacheldraht gesicherten Atomfabriken abspielt. Unter den Mitarbeitern dürften Schädigungen des Erbguts noch häufiger sein, nur fehlen uns die Informationen: Die Kombinate sorgen selbst für die medizinische Versorgung ihrer Mitarbeiter – und die dort angestellten Ärzten sprechen nicht mit uns.

Und Sie sind sicher, dass das Uranhexafluorid der Gronauer Urenco wirklich in Tomsk gelagert wird?

Sliviak: Ja. Offizielle der russischen Atomagentur Rosatom bestätigen in aller Öffentlichkeit, dass der Atommüll aus Gronau nach Sewersk bei Tomsk und nach Novouralsk bei Jekaterinburg geht.

Parshina: Was in der Logik der russischen Atomindustrie auch Sinn macht: Novouralsk ist die größte Urananreicherungsanlage, Sewersk die größte Plutoniumfabrik Russlands. Deshalb finden sich in der Romaschka auch Spuren von nicht nur radioaktivem, sondern auch hochgiftigem Plutonium.

Ihr Protest dürfte von offizieller Seite nicht gern gesehen werden. Wie gefährlich ist es, in Russland gegen Atommüllimporte zu protestieren?

Parshina: Ich habe größere Angst vor radioaktiver Verseuchung als vor unserer Regierung.

Dennoch: Wie groß ist der Druck auf Sie? Sind Sie Repressionen ausgesetzt?

Sliviak: Nun, ins Gefängnis sind wir noch nicht gesteckt worden...

Parshina: ...obwohl selbst das Fotografieren der Züge mit dem deutschen Atommüll mit bis zu 20 Jahren Haft bestraft werden kann. Schließlich gelten die Atomkombinate noch immer als militärisches Sperrgebiet.

Druck kann aber auch anders aussehen: Wird juristisch gegen Sie vorgegangen? Werden Strafzahlungen gegen Sie verhängt?

Sliviak: Da gehen die russischen Sicherheitsbehörden schon direkter vor. Schon 1999, nach dem ersten Terroranschlag auf die Moskauer Metro, bin ich beim Verlassen meiner Wohnung von Mitarbeitern des KGB-Nachfolgers FSB festgenommen und in einem Auto stundenlang verhört worden – ohne offizielles Dokument, ohne Richterbeschluss, versteht sich. Freigelassen hat mich der Geheimdienst erst, als sich Nachbarn einmischten: Die FSB-Leute waren in Zivil.

Und warum hat der FSB ausgerechnet Sie verhaftet?

Sliviak: Das habe ich auch nicht verstanden. Als Umweltschützer galt ich wohl generell als verdächtig. Deshalb habe ich die auch gefragt: Was hat Umweltschutz mit Terrorismus zu tun? Dennoch wurden auch andere Aktivisten von Ecodefense genauso festgenommen und verhört.

Wirkt solche Einschüchterung? Erhalten Sie weniger Unterstützung?

Sliviak: Es ist ein Unterschied, was die Leute denken und was sie tun, zumindest in Russland. Die Regierung Putin redet den Menschen ein, sie hätten sowieso keinen Einfluss. In Umfragen spricht sich aber eine überwältigende Mehrheit von 70 Prozent der Russen gegen neue Atomkraftwerke zumindest in der Nähe ihres Wohnorts aus. Ein größeres Problem sind die Medien: Lokal gibt es noch so etwas wie freie Berichterstattung, da kommen Journalisten zu unseren Aktionen. Auf nationaler Ebene aber sind Zeitungen und Fernsehsender längst wieder auf Regierungslinie: Die versuchen, uns einfach totzuschweigen. Die Zahl unserer Unterstützer wird dennoch täglich größer.