Im Land der Männer

Die von den USA 2001 als Kriegsargument angekündigte Befreiung der afghanischen Frauen hat nicht stattgefunden

„Wir sind nicht nur materiell verarmt, sondern auch kulturell“

AUS DSCHALALABAD BRITTA PETERSEN

„Mir bleibt eigentlich nichts anderes übrig, als zu heiraten“, sagt Sharifa. „Ich habe nichts gelernt, ich spreche kein Englisch wie meine Brüder … da bleibt nur die Ehe.“ Sharifa, die 21-jährige Paschtunin, ist eine Schönheit. Doch ihr Lächeln, ihre langen Haare und die großen Augen bekommt kein Fremder je zu sehen. Auch heute müssen die männlichen Besucher im Wohnzimmer der Familie warten, nur die Reporterin wird in die Frauengemächer vorgelassen.

Im ostafghanischen Dschalalabad sind Frauen praktisch unsichtbar, nur vereinzelt sieht man sie – in Burkas gehüllt. Männer wie Sharifas Vater hingegen bewegen sich frei, wo immer sie wollen. Dem 70-jährigen Hadschi Rahim verschlägt es ob der kessen Rede seiner Tochter denn auch die Sprache: Die Frage, warum er seine Tochter nicht zu Schule geschickt habe, lässt er unbeantwortet. Dabei hatte er sich den ganzen Abend mit seinen politischen Ideen gebrüstet. „Wenn Präsident Karsai auf mich hören würde“, tönt der Patriarch, „könnte in drei Monaten in Afghanistan Frieden herrschen.“ Man möchte ihm schon wegen seiner würdevollen Erscheinung glauben: der volle weiße Bart, die Adlernase, der nach paschtunischer Sitte gebundene Turban, an dessen Seite ein Stofffächer stolz in die Luft ragt. Zwölf Söhne und sechs Töchter hat Hadschi Rahim gezeugt, mit zwei Frauen, jetzt will er sich eine dritte nehmen. „Er fühlt sich noch fit genug“, sagt sein Sohn. Ob die beiden anderen Frauen damit einverstanden sind, ist kein Kriterium.

Männerherrlichkeit und Frauenschicksal sind zwei Seiten derselben Medaille in Afghanistan. Auch fünf Jahre nach dem Ende des Taliban-Regimes hat sich daran wenig geändert. Vor allem seit im Süden die radikalislamischen Milizen wieder erstarken, hat sich die Lage für Frauen und Mädchen wieder verschlechtert, so Rachel Wareham, frühere Chefin der Frauenorganisation Medica Mondiale in Kabul und heute Vorstandsmitglied des NGO Urgent Action Fund.

Angriffe auf Mädchenschulen und der Mord an der Frauenbeauftragten in Kandahar führten dazu, dass vor allem im Süden viele Eltern ihre Töchter nicht zur Schule schicken. „Alle Afghanen leiden unter der verschlechterten Sicherheitslage, aber für Frauen ist die Bedrohung eine andere“, sagt Orzala Ashraf, die mit der Hilfsorganisation Hawca ein Frauenhaus in Kabul betreibt. Selbst ihre eigene liberale Familie erlaube ihr nicht mehr, abends auszugehen.

Die von den USA 2001 als Kriegsargument angekündigte Befreiung der afghanischen Frauen hat bislang nicht stattgefunden. „Obwohl Frauen laut der UN-Resolution 1325 am Wiederaufbau beteiligt werden müssen, hat sich das nicht in echten Änderungen niedergeschlagen“, urteilt die aktuelle Studie „Afghan Women and Girls. Five Years on“ der britischen Frauenorganisation Womankind Worldwide.

Im paschtunischen Süden und Osten können sich Frauen bis heute nicht ohne männliche Begleitung bewegen. Für Sharifa, Hadschi Rahims 21-jährige Tochter, sind selbst die kleinen Freiheiten, die ihre Altersgenossinnen in den Städten genießen, undenkbar. In Jeans und nur mit einem lockeren Kopftuch bedeckt auf die Straße? Unmöglich. Die Gespräche junger Frauen kreisen daher immer um dieselben Themen: Ehe und Kinder. Was jenseits dieser Welt liegen könnte, wissen sie nicht. „Komm mich doch öfter besuchen“, bittet Sharifa zum Abschied.

Obwohl Afghaninnen die Probleme nicht leugnen, nehmen sie ihre eigene Lage als nicht so schwierig wahr. „Vor zwei Jahren“, sagt Pashtanah Safai von der Frauenbehörde in Dschalalabad, „hat eine Frau für das Präsidentenamt kandidiert, wir haben 25 Prozent Frauen im Parlament, das ist für diese kurze Zeit doch genug.“ Man müsse bedenken, was für eine dunkle Zeit die Jahre der Taliban-Herrschaft gewesen seien.

Die Sozialwissenschaftlerin Lina Abirafeh hat für die Friedrich-Ebert-Stiftung in Kabul eine Studie über die Hilfe der internationalen Gemeinschaft für afghanische Frauen seit Ende des Krieges erstellt. Sie sagt: „Von einer Befreiung zu reden ist problematisch.“ Denn dieses Versprechen könne kaum eingelöst werden, zudem schade es mehr, als zu nützen. Zum einen habe der Modernisierungsdruck von außen schon mehrfach in der afghanischen Geschichte zu einem konservativen Backlash geführt – etwa als König Amanullah in den 20er-Jahren die Afghaninnen vom Schleier befreien wollte –, zum anderen entmündige die Rede von der Befreiung die Frauen. „Viele Afghaninnen kämpfen dagegen an. Sie wollen beweisen, dass sie für sich selbst sprechen können“, sagt Abirafeh.

Doch das ist leicht gesagt. Die Probleme der Frauen sind massiv. In konservativen Provinzstädten wie Dschalalabad ist die Frauenbehörde für viele die einzige Hoffnung. „Jeden Tag kommen Witwen und fragen, ob ich Arbeit für sie habe“, sagt Pashtanah Safai, „aber wir haben hier nur 20 Stellen.“ Erst kürzlich musste sie eine Frau in der Psychiatrie unterbringen, weil sie nicht wusste, wie sie sich sonst vor dem prügelnden Ehemann schützen sollte. „Meist fliehen die Frauen vor häuslicher Gewalt oder vor Zwangsehen“, so Safai.

Nach Einschätzung von Orzala Ashraf vom Kabuler Frauenhaus hat die Gewalt erst in den letzten Jahrzehnten so stark zugenommen. „Die Männer sind unter den Taliban permanent erniedrigt worden. Bei Jungen, die erlebt haben, dass ihre Mütter und Schwestern öffentlich geschlagen wurden, ist ein Frauenbild entstanden, das es früher so nicht gab.“ Die Gesellschaft sei heute konservativer und gewalttätiger als je zuvor. „Es ist ja nicht so, dass wir nur materiell verarmt sind, wir sind auch kulturell verarmt“, sagt Ashraf.

Nicht einmal auf höchster politischer Ebene wird das Mitspracherecht der Frauen akzeptiert. Die Parlamentsabgeordnete Malalai Joya etwa, die sich durch ihr mutiges Auftreten auch international einen Namen gemacht hat, empfindet jede Parlamentssitzung als „Folter“. Als sie kürzlich wieder einmal im Parlament die Herrschaft der Warlords kritisierte, wurde sie von männlichen Abgeordneten geschlagen. „Einer hat gerufen, man solle mich vergewaltigen“, berichtet sie.

„Man kann sich gar nicht vorstellen, wie gewaltig der Sexismus in diesem Land ist“, sagt Rachel Wareham. Die Zahlen sprechen für sich: Unter 25 afghanischen Ministern befindet sich nur eine Frau, die Frauenministerin. Und ausgerechnet ihr Ministerium ist permanent von Auflösung bedroht. Hauptkritikpunkt ist pikanterweise die mangelnde Effektivität der Behörde mit ihren 1.200 Mitarbeiterinnen – kein Wunder, das Bildungsniveau von Frauen ist wegen der Talibanherrschaft deutlich niedriger als das der Männer. „Das ist doch absurd“, sagt Orzala Ashraf, „das Wirtschaftsministerium hat auch nicht effektiv gearbeitet, und niemand hat deshalb seine Auflösung gefordert.“ Hinzu kommt, dass derzeit bereits die fünfte Frauenministerin im Amt ist; die neue, Hosonbano Ghazanfar, hat keinerlei Erfahrung mit der Genderarbeit. „Jede Ministerin muss wieder ganz von vorn anfangen“, sagt Rachel Wareham.

Zudem fehle es den Afghaninnen an Vorbildern. „Die meisten prominenten Frauen interessieren sich gar nicht für Frauenthemen“, so Wareham. Sie ist überzeugt, dass den Afghaninnen am ehesten geholfen wäre, wenn Hilfsgelder in konkrete Projekte gesteckt würden. „Das Wichtigste sind Bildung, Arbeit und Gesundheitsvorsorge.“ Nach wie vor gebe es in Afghanistan kaum Frauenärztinnen; außerdem müsse man sich für Qualifikationsmaßnahmen mehr Zeit nehmen. „Es bringt doch nichts, jemandem einen Monat lang Englischunterricht zu geben!“

Gerade die Frauen auf dem Land haben das Gefühl, von der internationalen Gemeinschaft allein gelassen zu werden. „Die NGOs helfen uns nicht mehr so viel wie früher“, sagt Pashtanah Safai, „wir brauchen vor allem Ausbildung und Jobs.“ Die Frauenbeauftragte weiß selbst, wo das Problem liegt: in der miesen Sicherheitslage. Auch ihr eigenes Büro wurde schon angegriffen, doch die Polizei weigert sich, Sicherheitskräfte abzustellen. „Wir brauchen Frieden und Sicherheit, dann können wir arbeiten“, sagt Pashtanah Safai.

Für Sharifa Rahim hat der Vater schon einen Ehemann ausgesucht, Widerspruch zwecklos. Sharifas Bruder Mohammad jedoch sagt: „Ich habe meinem Vater schon gesagt, dass für mich nur eine Liebesheirat in Frage kommt.“ Wenn Sharifa Glück hat, hat Hadschi Rahim einen Ehemann gefunden, der ihr erlaubt, auf dem Basar einzukaufen, vielleicht sogar wählen zu gehen.