Rattengift bringt Glück

Die Distanzierungen der Ethnografie vermeiden: In ihrem Debüt „Madeinusa – Das Mädchen aus den Anden“ erzählt die peruanische Filmemacherin Claudia Llosa ein Drama um Inzest und Sündhaftigkeit in der Osterzeit

So wie man das Wort spricht, ist Madeinusa ein Mädchenname. Jedenfalls nimmt es die Tochter des Bürgermeisters (Magali Solier) im abgeschiedenen peruanischen Andendorf Macuayanama als Zeichen, dass ihr Name auf dem Hemd eines Fremden steht, der ausgerechnet während der „Heiligen Woche“ vor Ostern in ihrem Ort hängen bleibt. Sie will nicht glauben, dass „Made in USA“ für etwas Anderes steht.

Salvador (Carlos Juan de la Torre), ein verwitterter Mineningenieur auf Durchreise, kommt wegen der Frühjahrshochwasser nicht weiter und wird vom Bürgermeister eher festgesetzt denn als Gast begrüßt. Das Dorf will keine „Gringos“ als Zeugen des entfesselten Treibens in dieser karnevalesken Zeit. Zum Schluss der Woche soll ein Auto den Mann abholen – die Uhr bis zum Festende läuft, ein Alter auf dem Dorfplatz blättert nach dem Gang des Sonnenlichts jede Minute ein Pappschild mit den Ziffern um.

Was Claudia Llosas Spielfilmdebüt auszeichnet, ist nicht nur die Unerbittlichkeit einer Emanzipationsgeschichte, sondern auch der genaue Blick, den sie für die Bedeutung von Dingen und Gesten hat und mit dem sie vom Zusammenstoß eines archaischen Dorfkosmos mit der Moderne erzählt. Salvador, der hungrige Fremde, zieht wie ein frustrierter Voyeur durch den Ort und gleicht sich den einheimischen Männern beim Trinken an. Er entjungfert Madeinusa, die ihren inzestuösen Vater zuvor mit dem Hinweis auf die Sünde in Schach gehalten hatte, sich als Jungfrau Maria jedoch dem Fremden anbietet, weil Gottes Tod die Sünde außer Kraft setze. Sex ist hier ein Regelsystem, dessen fließende Grenzen hin zur tödlichen Hybris schwer zu durchschauen sind.

Die erste Begegnung zeigt das Mädchen im Kostüm der Jungfrau Maria, die den vom Kreuz in der Kirche abgehängten Jesus während des Passionsspiels beweinen muss. Die Kür für diese Rolle ist ein dörflicher Schönheitswettbewerb. Dass Madeinusa ihn gewonnen hat, trägt ihr den Hass ihrer Schwester Chale (Yiliana Chong) ein.

Madeinusa – der Name muss eine Verheißung gewesen sein. Die Mutter der Mädchen hat ein Stück davon wahr gemacht, ist ausgebrochen und in die Hauptstadt Lima gegangen. Der Tochter sind nur ihre Ohrringe geblieben, kleine Fetische, die sie vor der Schwester versteckt und die der gekränkte Patriarch zerstören wird. Nach dem Ende des Festes hätte er sein vermeintliches Anrecht auf die Sexualität seiner Tochter durchgesetzt, jetzt ist ihm der Fremde zuvorgekommen. Wie in einer antiken Tragödie setzt die Konstellation die mörderische Dynamik frei, der Umgang mit den mythisch besetzten Dingen wirkt wie Zunder.

Dass Madeinusa alles daransetzt, um der abwesenden Mutter nach Lima zu folgen, ist schon in der Eingangssequenz klar, wenn man das Mädchen bei der Arbeit ein Lied singen hört, das ihren Wunsch ausdrückt. Sie hantiert auf sachkundige Art mit Rattengift – wenn man es üppig austeilt, soll es Glück bringen. Zart und melancholisch gesungene Lieder, pure Poesie, stellen die Handlung des Films in vielen intensiven Momenten still, kündigen zugleich wie im erzählten Märchen den Gang der Fabel an.

Die 1976 geborene peruanische Filmemacherin Claudia Llosa lässt die Kamera (Raoul Pérez Ureta) in Großaufnahmen nah an die Figuren heran, als wolle sie partout die Distanz ethnografischer Filme vermeiden. Der Film ist weit mehr als die Fluchtgeschichte seiner Heldin, er lebt auch vom Rhythmus der Arbeitsgänge und Handreichungen des Mädchens, von der Einbettung der absurden dörflichen Festrituale in die Handlung und nicht zuletzt vom Wechsel der intimen Szenen. Dann hebt sich die angedeutete Verschlossenheit des Mädchens vor den großen Panoramen der Andenlandschaft ab. CLAUDIA LENSSEN

„Madeinusa – Das Mädchen aus den Anden“. Regie: Claudia Llosa. Mit Magaly Solier, Carlos de la Torre u. a. Peru/Spanien 2005, 103 Min.