Die Energie des Leidens

Der Film „Stille Sehnsucht – Warchild“ von Christian Wagner erzählt behutsam die Geschichte vom Leben, vom Suchen und der Liebe nach dem letzten Krieg in Europa

Schwebende Bilder vom Kamerakran herunter, eine Farbdramaturgie, die den gleißenden Firnis hyperrealer Fotografien über wintergraue Straßen und Innenräume legt (Kamera: Thomas Mauch). Und schließlich ein Soundtrack, der elektronische Crossover-Musik mit sphärischen Frauenchören kombiniert (Konstantia Gourzi, Xaver Naudascher) – die stilistischen Mittel von „Warchild“ wollen großes Kino. Es ist, als hätten alle Beteiligten um den bosnischen, in Deutschland lebenden Drehbuchautor Edin Hadzimahovic und den Regisseur Christian Wagner nach vier Jahren Projektentwicklung ihr Bestes gegeben, beeindruckt vom Pathos ihres Stoffs, von der (südost-)europäischen Internationalität ihrer Produktion und vielleicht auch vom moralischen Gewicht des ganzen Unternehmens.

Es geht um eine kleine leise Geschichte, die vom Trauma des Verlusts und der Leidensenergie einer Bosnierin erzählt. Sie sucht ihr im jüngsten Balkankrieg verlorenes Kind – ein fiktives Beispiel unter zehntausenden Kriegsopfern, die im Chaos evakuiert wurden und bis heute als vermisst gelten. Im Film wird die Suche eine Konfrontation mit dem verletzten Selbst der Mutter.

Die Mazedonierin Labina Mitevska (auch in Michael Winterbottoms „Welcome to Sarajevo“ und „I want you“ zu sehen) spielt Sedana, eine schmale junge Jobberin und Motorradfahrerin aus Sarajevo, die ihr Kind in einer deutschen Zeitung zu erkennen glaubt, sich von einem Schlepper außer Landes schaffen lässt (eine Episode pittoresken Elends, die wie ein Pastiche auf Theo Angelopoulos wirkt), unter Auslassung diverser Reiseetappen plötzlich in Ulm auftaucht und über Betriebspatzer im Jugendamt den Aufenthaltsort ihres Kindes erfährt. Sie sucht allein, weil sie ihrem Exmann (Senad Basic) die Schuld am tragischen Verschwinden ihres Kindes gibt.

Aus der im Alter von zwei Jahren verschwundenen, asthmakranken Aida ist ein robuster präpubertierender Teenager geworden, von eloquenten, in einem gläsernen Eigenheim wohnenden Forty-Somethings adoptiert. Sie heißt nun Kristina und hat Eishockey im Sinn. Eine gute Drehbuchidee: Lange kommt das Mädchen der Kamera nicht nah, bleibt unkenntlich, und so wird der letzte Blickkontakt zwischen Mutter und Tochter zu einem Moment schierer Fremdheit.

Die Szenen der verloren im Bus fahrenden Sedana erzählen melancholisch von deutscher Provinzungemütlichkeit, von Sedanas trotz mangelnder Sprachkundigkeit hartnäckigen Logik, von der Kraft ihrer Obsession. Leider verliert sich der Film in bloß karikaturhafte Anspielungen auf deutsche Arroganz. Die Adoptiveltern (Crescentia Dünsser, Otto Kukla), die Jugendbeamtin (Katrin Sass) und die Bewohner von Sedanas Ulmer Billigpension wirken in ihrer Darstellung allzu bemüht.

„Warchild“ erzählt, ohne übermäßig zu emotionalisieren, wie die märchenhafte Suche Sedanas am konditionierenden Bindungssystem der neuen Familie scheitert: Die Tochter will vorerst nichts wissen von der fremden Mutter. Am Ende Sedanas Rückkehr nach Bosnien kommt es zu einer Geste vorsichtiger Annäherung an den nach Deutschland nachgereisten und zu Hilfe geeilten Exmann. CLAUDIA LENSSEN