Länder lassen Berlin im Stich

Beim Hochschulpakt sind alle zufrieden – nur die Studentenfabrik Berlin guckt in die Röhre. Niedersachsen schuldet Berlin jährlich 137 Millionen Euro Akademikerprämie

BERLIN taz ■ Margret Wintermantel ist Sozialpsychologin. Sie erforscht unter anderem „die sprachliche Darstellung von Sachverhalten“. In dieser Rolle hat Wintermantel allergrößte Mühe, zu verstehen, was die Wissenschaftsminister der Länder gerade mit Berlin anstellen. „Berlin bildet sehr viele Studierende aus“, sagt sie, „man kann diese Studenten doch nicht einfach wieder wegschicken.“ Für Margret Wintermantel ist klar: Die 85.000 Studienplätze Berlins müssen gehalten werden.

Damit steht Wintermantel, die zugleich Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz ist, ziemlich allein da, von den Berlinern naturgemäß abgesehen. Das Bundesverfassungsgericht hat jüngst bei Wissenschaft und Hochschulen „Mehrausgaben Berlins gegenüber Hamburg von eindrucksvollen Ausmaßen“ konstatiert – und in seinem Berlin-Urteil Hilfe abgelehnt. Niedersachsens Ministerpräsident beschimpfte die „ausgemachte Subventionsmentalität“ in der Hauptstadt – und gab Ratschläge. Und die Wissenschaftsminister anderer Länder weigern sich, Berlins Studienplätze mitzufinanzieren. Heute knobeln sie in Bonn wieder um den sogenannten Hochschulpakt. Letzter offener Streitpunkt dabei: Wie viel Geld bekommt Berlin?

Der Hochschulpakt gilt als eines der wichtigsten Instrumente, um die akademische Zukunft Deutschlands abzusichern. Bis 2013 wird die Zahl der Studierenden von 2 Millionen auf 2,7 Millionen steigen. Niemand, nicht einmal die reichen Südstaaten, kann diesen Studierendenzuwachs allein finanzieren. Also hat der Bund 565 Millionen Euro zur Verfügung gestellt – aber die Länder streiten sich seit Wochen um das Geld. Inzwischen haben alle ihre Schäflein im Trockenen. Nur Berlin weiß noch nicht, wie viel Geld es bekommt.

Womöglich scheitert der ganze Pakt an der armen Hauptstadt. „Wir drohen die letzte Chance zu verpassen, den Akademikermangel in Deutschland zu beheben“, mahnte die Rektorenpräsidentin gestern.

Dabei sind Berlins Leistungen bei der Ausbildung von Akademikern unbestritten, qualitativ und quantitativ. Freie und Humboldt-Universität tauchen seit einiger Zeit auf den Uni-Ranglisten stets unter den ersten 10 auf. Bei der Zahl der Studierenden steht Berlin ohnehin unangefochten auf Platz 1.

Das Statistische Bundesamt hat gerade die neue Wanderungsbilanz deutscher Studierender veröffentlicht. Da schlägt Berlin mit einem Plus von 35.000 Studierenden zu Buche. Das bedeutet, dass 35.000 Studierende mehr nach Berlin einwandern als das Land verlassen. Würde man dies mit Geld ausgleichen wollen, kämen gigantische Beträge heraus, die andere Bundesländer der Hauptstadt schuldeten.

Der Hochschulpakt gewährt pro zusätzlichen Studienplatz eine Prämie von 5.500 Euro. Um Berlin für sein bisheriges Plus zu entschädigen, müsste die Hauptstadt für ihre 35.000 importierten Studenten allein 192 Millionen Euro bekommen – jährlich.

Und wer müsste das bezahlen? Niedersachsen zum Beispiel. Das Land exportiert 25.000 Studierende, das heißt, es lässt sie auf Kosten anderer Bundesländer zu Akademikern machen. Berlin sollte sich von Wulff 137,5 Millionen Euro jährlich überweisen lassen. So schlagen es Finanzexperten auf Konferenzen gern vor, wenn man sie nach Hannover fragt.

Berlins Haltung ist eindeutig. „Gerade nach dem Verfassungsgerichtsurteil können wir kein frisches Geld in die Hand nehmen, um zusätzliche Studienplätze zu finanzieren“, sagte der amtierende Wissenschaftssenator Thomas Flierl (Linke). „Wir brauchen Hilfe für die erheblichen Mehrleistungen, die wir bei der Studentenausbildung“ erbringen.

Ist das wieder so eine Unverschämtheit, wie sie dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) wegen der Berliner Opern vorgeworfen wird? Nein, sagt die Föderalismusforscherin Beate Jochimsen vom Wissenschaftszentrum für Sozialforschung. „Die Ansprüche Berlins sind nicht unverschämt, sondern berechtigt.“

CHRISTIAN FÜLLER