„Die Situation bleibt katastrophal“

Der Koalitionsvertrag sei eine peinliche Zustandsbeschreibung, sagt Georg Classen vom Flüchtlingsrat. Er sieht keine Verbesserung der Flüchtlingspolitik und fordert die strikte Trennung von Ausländerbehörde und Polizei

taz: Herr Classen, einen Umsetzungskatalog mit fünf Unterpunkten widmet Rot-Rot dem Thema „Ausländerbehörde“. Ein Grund zur Freude?

Georg Classen: Nicht wirklich. Es ist doch eine schon eher peinliche Zustandsbeschreibung, wenn die Koalitionsvereinbarung ausdrücklich erwähnen muss, dass diese Behörde künftig für ihre Kunden „telefonisch erreichbar“ sein soll. Und bei aller Reformabsicht – ein zentraler Punkt fehlt, nämlich die strikte Trennung von Ausländerbehörde und Polizei. Solange Polizisten in Zivil an den Schreibtischen der Ausländerbehörde Dienst tun, ist unseres Erachtens eine Reform der Ausländerbehörde nicht möglich.

Was wurmt Sie daran?

Es kann doch nicht sein, dass eine Verwaltungsbehörde zusammen mit der Polizei die gleichen Räume nutzt. Wo leben wir, wenn beim Gespräch mit den Kunden ein Zivilpolizist einen Gummiknüppel in der Hand hält und die Aussagen der Antragsteller auch für polizeiliche Zwecke verwertet? Das ist schon aus Datenschutzgründen nicht zu akzeptieren.

Rot-Rot wollte schon zu Beginn der vergangenen Legislaturperiode die Behörde „kundenfreundlicher“ machen. Was wurde erreicht?

Bei der Filiale am Friedrich-Krause-Ufer und in der Leitung der Behörde gibt es Veränderungen, die aber noch nicht ausreichen. Am Nöldnerplatz aber bleibt die Situation katastrophal. Zwischen den Sachbearbeitern und dem Antragsteller befindet sich eine Panzerglasscheibe. Man kann sich nur schreiend verständigen. Das provoziert Aggression auf beiden Seiten. Solche Trennscheiben gibt es in keiner anderen Ausländerbehörde in Deutschland.

Kann man es der rot-roten Koalition abnehmen, dass sie es ernst mit einer flüchtlingsfreundlichen Politik meint?

Wir hatten in der vergangenen Legislaturperiode eine sehr engagierte Mitstreiterin, Karin Hopfmann von der Linkspartei. Sie war auch im Flüchtlingsrat aktiv. Leider ist sie jetzt nicht mehr dabei, und niemand hat bisher ihre Position als flüchtlingspolitische Sprecherin der Linksfraktion übernommen. Es hat schon den Anschein, dass Flüchtlingspolitik dort nicht mehr so hohe Priorität genießt. Bei der SPD ist Innenstaatssekretär Ulrich Freise immer gesprächsbereit, unsere inhaltlichen Positionen sind allerdings häufig sehr unterschiedlich. Der gesamte Komplex Migrationspolitik wurde in der Koalition an ein oder zwei Tagen verhandelt. Rot-Rot hatte offenbar kein Interesse, sich hierbei zu streiten. Wir hatten 50 Punkte formuliert, die uns wichtig sind. Nur 3 Punkte sind in der Koalitionsvereinbarung berücksichtigt.

Was fehlt in dem Koalitionsvertrag?

Fast alles, was uns wichtig ist. Dazu gehören eine behördenunabhängige Asylverfahrensberatung in der Asylaufnahmestelle. Kein diskriminierendes „Ausreisezentrum“ in der Motardstraße. Keine Abschiebehaft nur wegen der Asylzuständigkeit eines anderen EU-Landes. Eine Bundesratsinitiative gegen das unsinnige sozialrechtliche Arbeitsverbot für Flüchtlinge. Wir wollen die Praxis des Entzugs der Sozialhilfe für Flüchtlinge stoppen. Wir hoffen dabei weiter auf Unterstützung durch den rot-roten Senat.

INTERVIEW: FELIX LEE