Provokateure sollen Abbitte leisten

Nach einem kritischen Artikel über Bachelor-Studiengänge in der taz geraten die Autoren – die FU-Politikprofs Grottian und Narr – am eigenen Institut unter Druck. Dessen Chef fordert sie auf, sich für ihre Thesen zu entschuldigen

Mit einem „Aufschrei“ in der taz wollten die Politik-Professoren Peter Grottian und Wolf-Dieter Narr die Studierenden wecken – und zum Boykott von „macdonaldisierten“ Bachelor-Studiengängen aufrufen. Doch während sich bei denen wenig regt, empört sich die ProfessorInnenschaft des Otto-Suhr-Instituts für Politikwissenschaft (OSI) der Freien Universität (FU), an dem Grottian und Narr lehren. Äußerst wachsam reagierte etwa Peter Massing, Geschäftsführender Direktor des OSI: In einem Brief an alle Mitglieder des Instituts forderte er die Autoren auf, sich öffentlich für ihre Äußerungen in der taz zu entschuldigen. Zuvor hatte das FU-Präsidium Grottian gegenüber telefonisch den Artikel missbilligt. Gegenüber der taz wollte sich das Präsidium nicht äußern.

In dem „Aufschrei“ hatten die Politikprofs die Studierenden zu einem Boykott von Bachelor-Studiengängen aufgerufen (siehe taz-Bildungseite vom 8. November 2006). Sie bezeichneten das Kurzstudium als einen „systematischen Vorgang des Entlernens“ durch „repressiv-präventive Anreiz- und Abstoßungssysteme“. Die Bachelor-Studiengänge seien „bildungspolitische Verbrechen“, durch die die Studierenden „entbildet“ würden. Diese „Prozesse des Entlernens“ seien geprägt von einer „Vorstufe der ‚Banalität des Bösen‘“.

Insbesondere die letzte Formulierung sorgt für Aufregung. Der Begriff „Banalität des Bösen“ stammt von Hannah Arendt. Im Zusammenhang mit dem Prozess gegen Adolf Eichmann 1961, einen der hauptverantwortlichen Organisatoren des Holocausts, hatte sie mit dem Begriff auf die vermeintliche Banalität etwa der „schier gedankenlosen“ bürokratischen Folgsamkeit hingewiesen, die Mitursache am Völkermord an sechs Millionen Juden gewesen sei.

Dies auf die Konstitution des Hochschulwesens zu beziehen, hielt OSI-Direktor Massing gegenüber der taz für einen „unsäglichen Vergleich“, der nicht hinnehmbar sei. „Hier werden Studierende und Kollegen beschimpft, die sich an unserem Institut dafür eingesetzt haben, den kritisierbaren Bachelor in vernünftige Bahnen zu lenken“, sagte Massing. Er gehe davon aus, dass die Äußerungen der Professoren auch auf der Sitzung des Institutsrats Anfang Dezember thematisiert würden.

Unverständnis erntete das Autoren-Duo auch von anderen Kollegen. „Den beiden sind die revolutionären Garden abhanden gekommen, die es hier möglicherweise mal gegeben hat“, so OSI-Prof Klaus Segbers: „Professoren meiner Generation haben keine Zeit, sich mit solchen Debatten zu beschäftigen.“

„Eben das“, kontert Grottian, „ist doch der perverse Ausdruck dieser bürokratisierten Studienstruktur.“ Nicht nur Professoren, sondern auch Studierende hätten keine Zeit mehr, sich mündig mit wissenschaftlichen Fragen kritisch zu beschäftigen.

Dass daher von der „Banalität des Bösen“ gesprochen werden könnte, hält Mit-Autor Narr für klar: „Banalität meint eben: sich verhalten, wie es üblich ist. Es wird aber Zeit, dass Studierende ihren eigenen Verstand bemühen, statt das bürokratisch Auferlegte in vorauseilendem Gehorsam zu erfüllen.“ Er sehe keinen Grund, sich zu entschuldigen. Das Schreiben des Institutsdirektors bezeichnete Narr als „plumpen Versuch, die Vorwürfe, mit denen sich die Professoren auseinandersetzen müssten, einfach wegzudrücken“.

Weniger Aufregung gab es auf Seiten der Studis, an die der Appell gerichtet war: „Viele Studierende stehen den Problemen der Bachelor-Studiengänge ohnmächtig gegenüber“, sagte Jenny Simon, hochschulpolitische Referentin beim FU-Asta. „Zudem lassen die restriktiven Anforderungen der neuen Studiengänge weniger Raum für politisches Engagement.“ MARTIN KAUL