Laute Forschung

Bei ihm konnte man hören lernen: Zwei Jahre nach John Peels Tod sind nun die Memoiren des weltbekannten britischen Radio-DJs erschienen

Wie kann man einen DJ und Moderatoren ehren? Wie sein Andenken bewahren?

VON JÖRG SUNDERMEIER

Man kann seinen Ohren nicht trauen. Vor rund zwei Jahren starb der weltbekannte Radio-DJ John Peel. Seitdem nimmt die Erinnerung an seine Stimme ab, das Gedächtnis täuscht einen. Der sonore Brite mit dem Vollbart lebt in der Erinnerung der älteren Radiohörerinnen und -hörer fort, in deren Teenie-Jahren er derjenige war, mit dem man über alle Probleme reden konnte, über Pickel und Selbstbefriedigung, frühe Liebe und die Verwirrung in der großen Stadt. Man glaubte, dass John Peel einen verstand, denn er hatte immer die richtige Musik zu unseren Gefühlen, Musik, die – nun ja – „schneller“ war als man selbst. Denn er spielte Hiphop, als man noch an Punkrock glaubte, Techno, als man sich gerade an Hiphop gewöhnte, und durchmischte das mit den Rockmusikklassikern, die einst dem jungen Peel bei seinen eigenen Masturbationsproblemen begleitet hatten, mit Punk, Fußballliedern, Jazz, Reggae, Soul und den obligatorischen The-Fall-Song. Man lernte Linien erkennen, lernte, dass die Musik der White Stripes oder von Pulp vielleicht nicht neu war und trotzdem geil klang. Nun aber, zwei Jahre nach Peels Tod, verblasst die Erinnerung, das Hörbild verschwimmt.

Wie kann man einen DJ und Moderatoren ehren? Wie kann man sein Andenken bewahren? Es gibt die unzähligen Peel-Sessions auf CD, die dokumentieren, dass und wie Musikerinnen und Musiker extra für diesen einen Moderator spielten, doch das lässt den DJ nicht weiter leben, da er und seine Arbeit nicht zu hören sind. Es gibt die vor einigen Monaten erschienene, von ihm und seiner Gattin zusammengestellte CD „The Pig’s Big 78’s“, die sehr schön den Geist der Radiosendungen einfängt und Obskures aus dem Jahr 1978 neben Perlen stellt. Es gibt seine Stimme auf CD, etwa in Hörspielen von Andreas Ammer, doch auch da liest der Mann fremden Text. Die Website, die BBC zu Ehren seines berühmtesten Moderators eingerichtet hat (www.bbc.co.uk/radio1/johnpeel/index.shtml) hilft ebenfalls nicht.

Auch im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit lässt sich nicht offensichtlich wiedergeben, wie es war, wenn Peel, von einem Lachkrampf geschüttelt, eine Gesangsdarbietung von Franz Beckenbauer abmoderierte. Wie lustig es war, wenn Peel ein Stück mit der falschen Geschwindigkeit abspielte. Oder sich über Fanpost aus der Mongolei wunderte. Man müsste eine CD- oder besser noch Vinyl-Reihe mit Radio-Shows aus einem Jahr veröffentlichen, wer aber wollte das hören? Nur auf diese Weise aber könnte man den Geist der Sendung wiedergeben, den Peel selbst in einem Brief an seinen BBC-Vorgesetzten sarkastisch – man wollte seine Sendezeit beschränken – so beschrieb: „Betrachten Sie meine Sendungen als eine Art Forschungslabor. Laut und nicht immer wohlriechend, aber gelegentlich doch die ein oder andere Formel hervorbringend, die sich vermarkten lässt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.“

Nun sind, ein Jahr nach der englischen Erstveröffentlichung, John Peels Memoiren erschienen. Es ist zunächst merkwürdig, die Gedanken und Schnurren von jemand, den man stets nur gehört hat, plötzlich lesen zu sollen. Doch man liest sich schnell ein. Die Erinnerungen sind nicht abgeschlossen, Peel, der sich jahrelang geweigert hatte, seine Memoiren zu schreiben, starb während der Abfassung in Peru. Knapp die Hälfte der 500 Seiten des Buches stammen aus Peels Hand und sind erstaunlich gut geschrieben. Schon Peels Lehrer sagten ihm schriftstellerisches Talent nach, sagt Peel.

Peel hat sich für einen assoziativen Stil entschieden, er springt vom Kinderbett seines Enkels aus der Gegenwart zurück in die Fünfziger, von dort geht es direkt in die Radiostudios der Siebziger, und doch stellt er dabei eine Art chronologische Erzählung her, in der er seine Kindheit, Jugend und frühen Erwachsenenjahre in England und den USA beschreibt. Dabei erzählt er lebendig – und nicht nur Angenehmes. Er musste älteren Internatsschülern für sexuelle Dienste bereitstehen, war als Azubi in den USA verloren, lernte sich gegen seinen Willen in einer rassistisch strukturierten Umgebung bewegen, da er als einziger Weißer in seinem Unternehmen schwarze Freunde hatte, er beschreibt Suff und deutet erste elende heterosexuelle Erfahrungen an. Peel verlässt dabei nie den Plauderton, dennoch wirkt sein Text nicht obszön, nie zu vertraulich.

Den zweiten Teil dann, also die Erzählung vom eigentlichen Karrierebeginn bis zum Tod, bestreitet Sheila Ravenscroft, Peels Ehefrau (Peel war ein Künstlername). Automatisch – wenn man so will, angesichts der Umstände – verfällt sie in einen Ton der Verehrung für ihren berühmten Mann, der ohne große Makel und weitgehend kritiklos geschildert wird. Ihre Gattinnenrolle füllt Ravenscroft gewissenhaft aus, beschreibt Peels Verhältnis zu seinen Eltern und seinen Kindern, hält sich aber, trotz einiger sehr schöner Witze, zunächst auffallend zurück. Die Musik spielt bei ihr kaum eine Rolle, erst gegen Ende des Buches schreibt sie sich frei, nun häufen sich die Plattenbeschreibungen, die Urteile und die Schilderungen der Sessions, die Blur in einem Zelt im Garten oder die White Stripes und PJ Harvey im Landhäuschen der Ravenscrofts einspielten, in dem Peel zuletzt produzierte, da er als Familienmensch und Diabetiker den Weg nach London möglichst vermied. Ausgiebig beschreibt Ravenscroft Peels Freundschaften zu Marc Bolan, Robert Wyatt oder Loudon Wainwright III und die im persönlichen Umgang eher von Distanz geprägte, beim Abhören der Platten jedoch unbändige, durch nichts zu erschütternde Liebe Peels zu Mark E. Smith und seiner Band The Fall. Er möge nicht sterben, da er wisse, dass bald eine neue Fall-LP erscheine, hatte Peel ein paar Jahre vor seinem Tod gewitzelt.

Ravenscroft schreibt trocken und gewinnt selbst öden Begegnungen wie der von Peel und seinen Töchtern mit der von Letzteren sehr verehrten Courtney Love auf dem Reading Festival etwas ab: „Sie wankte und torkelte und stolperte durch die Gegend, bis sie schließlich John und die Mädels erblickte. ‚Hallo, Mister Peel‘, rief sie höflich. ‚Hallo, Courtney‘, erwiderte John mit seiner schon sprichwörtlichen Schlagfertigkeit.“

Man kann an einigen Stellen die etwas hüftsteife deutsche Übersetzung monieren, doch darüber liest man schnell hinweg. Dass jedoch der Verlag das Buch, das im Original „Margrave of the marshes“ heißt, stattdessen „Memoiren des einflussreichsten DJs der Welt“ nennt, befremdet und läuft dem von Peel gepflegten britischen Understatement völlig zuwider.

John Peel und Sheila Ravenscroft: „Memoiren des einflussreichsten DJs der Welt“. Rogner Bernhard, Berlin 2006. 536 Seiten, 24,90 €ĽJohn Peel and Sheila: „The Pig’s Big 78’s – A Beginner’s Guide“ (Trikont)