Afrika schmiedet Europa zusammen

Erster Migrationsgipfel von EU und AU tagt in Libyen. Die Teilnehmer wollen gemeinsame Linien zum Umgang mit der nach wie vor ungebremsten illegalen Auswanderung von Afrika nach Europa entwerfen. EU-Quotenregelung im Gespräch

VON DOMINIC JOHNSON

Nach der bisher größten illegalen Wanderungsbewegung von Afrika nach Europa gibt es nun die bisher größte Migrationskonferenz der beiden Kontinente. Spitzenpolitiker der Europäischen Union (EU) und Afrikanische Union (AU) trafen gestern in Libyen zu ihrem ersten gemeinsamen Gipfel über unregulierte Wanderung zusammen. Konkrete Ergebnisse sind nicht zu erwarten; die Tatsache, dass ein so hochrangiges Treffen überhaupt stattfindet, reicht den meisten Teilnehmern schon als Tätigkeitsnachweis.

Die Zahlen sprechen für sich. Über 28.000 Migranten aus Afrika südlich der Sahara sind dieses Jahr bereits auf den zu Spanien gehörenden Kanaren gelandet – mehr als das Dreifache des bisherigen Rekordes von 9.929 im Jahr 2002. Über 16.000 landeten auf dem italienischen Lampedusa im Mittelmeer. Mehrere tausend Afrikaner sind bei der gefährlichen Überfahrt auf die Kanaren im Atlantik gestorben. 7.314 Afrikaner wurden allein seit Mitte Mai von der spanischen Küstenwache mit Unterstützung ihrer afrikanischen Kollegen im Meer aufgehalten und mussten kehrtmachen. Viele andere wurden aus Spanien per Flugzeug zurückgeschickt. Zu Tausenden stranden afrikanische Migranten auch in der Sahara-Wüste an den dortigen Grenzen – allein an Algeriens Südgrenze, einer der wichtigsten Transitpunkte, sind es 8.000 pro Jahr.

Die italienische Hilfsorganisation CISP erklärte Anfang November, 150.000 Afrikaner, die bereits zu Hause die Zelte abgebrochen hätten und nach Europa wollten, befänden sich in Niger, Mali, Mauretanien, Marokko und Algerien in einer „verzweifelten Lage“ und könnten weder vor noch zurück. Anderen Erhebungen zufolge wollen 30 Prozent aller jungen Afrikaner auswandern. Die Hälfte der 800 Millionen Bewohner des Kontinents ist unter 18 Jahre alt und weniger als ein Zehntel von ihnen findet beim Eintritt ins Erwachsenenalter reguläre Arbeit.

Neuesten Recherchen zufolge orientieren sich Migranten jetzt wieder zunehmend auf Libyen statt Marokko, seit letzteres Land eng mit Spanien zusammenarbeitet, um Migranten abzuwehren. Andere Zielländer der Migration wie Frankreich oder Italien suchen ebenfalls auf bilateraler Ebene Lösungen mit einzelnen afrikanischen Regierungen in Form von Verträgen, die begrenzte Kontingenteinwanderung ermöglichen. Die EU will nun die Tagung in Libyen nutzen, um eine bessere Koordination einzuleiten.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier forderte bei seiner Maghreb-Reise Anfang dieser Woche die Staaten Nordafrikas auf, eine gemeinsame Migrationspolitik zu erarbeiten, mit der sie der EU gegenübertreten könnten. EU-Justizkommissar Franco Frattini schlug vor, nationale Einwanderungsquoten von EU-Staaten zu bündeln. „Wenn ich weiß, dass Deutschland 1.000 Gastarbeiter braucht und Großbritannien 2.000, kann ich Senegal sagen: Hört mal, wir können 3.000 Leute aufnehmen, könnt ihr was machen?“ Die EU könnte dann für das Kontingent Sprach- und Berufsausbildung anbieten.

So weit wird der Gipfel wohl nicht gehen. Das Abschlussdokument soll nach vorliegenden Entwürfen die „gemeinsame Kontrolle illegaler Migration“ betonen sowie die „verstärkte Rolle der Diaspora-Gemeinden in der Entwicklungspolitik“ und die „Erleichterung zeitlicher begrenzter Arbeitsmigration“ verkünden. Damit sollen die Absichtserklärungen des euro-afrikanischen Migrationsgipfels vom Juli in Marokko bekräftigt werden. Weil Marokko nicht zur AU gehört, waren die damaligen Beratungen nicht in die afrikanische Spitzenebene eingeflossen.