Korrupte Bande bei Siemens vermutet

Staatsanwälte vermuten organisierte Untreue im Konzern. Mitarbeiter sollen mehr als 200 Millionen Euro verschoben haben. Das Problem ist weitverbreitet. Abhilfe wäre möglich. Zum Beispiel durch einen Pakt der sich bewerbenden Unternehmen

von Gernot Knödler

Der Korruptionsskandal bei Siemens zieht immer größere Kreise. Die Münchner Staatsanwaltschaft geht jetzt von einer „Bande“ von Managern aus, die mindestens 200 Millionen Euro auf dubiose Konten umgeleitet haben soll. Zunächst war nur von 20 Millionen Euro Schaden die Rede gewesen. Am Mittwoch seien zwei weitere Mitarbeiter der Finanzabteilung des Konzerns in Untersuchungshaft genommen worden, teilte der Leitende Oberstaatsanwalt Christian Schmidt-Sommerfeld mit.

Bei den Ermittlungen geht es um die Frage, ob Mitarbeiter der Siemens-Sparte Com Geld unterschlagen und für Bestechung eingesetzt haben. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung flossen in den 90er-Jahren rund 170 Millionen Euro auf Konten in Salzburg und Innsbruck. Weitere 35 bis 40 Millionen Euro wurden heimlich in die Schweiz überwiesen. Ein Teil dieses Geldes sei in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre an verschiedene Länder weitergereicht worden. Kontoauszügen zufolge seien fast 5 Millionen Euro allein an ranghohe Persönlichkeiten in Nigeria gegangen.

Dass sich deutsche Unternehmen mit Schmiergeld Aufträge im Ausland kaufen, ist nicht selten. Im jüngsten Bestechungsindex der Organisation Transparency International aus dem Jahr 2002 belegte Deutschland unter den 21 führenden Exportnationen nur einen Platz im Mittelfeld. Am wenigsten Bestechungsangebote kamen demnach aus Australien, Schweden und der Schweiz. Die Wahrscheinlichkeit, dass hohe Amtsträger Schmiergelder verlangen oder annehmen ist am größten, wenn es um Bauprojekte geht. Es folgen der Rüstungssektor sowie die Gas- und Ölindustrie.

Der volkswirtschaftliche Schaden gilt als enorm. Die Auftraggeber zahlen mehr für ein schlechteres Produkt. Der schmierende Auftragnehmer erfährt nicht, wie konkurrenzfähig sein Angebot eigentlich ist und reagiert verspätet mit Verbesserungen. Werden Korruptionsfälle bekannt, büßen die darin verwickelten Firmen Ansehen ein.

Georg Nassauer, der Betriebsratsvorsitzende des in Gründung befindlichen Joint-Ventures Nokia-Siemens hat deshalb verlangt: „In Ländern, in denen Geschäfte nur durch Zahlungen von Schmiergeld möglich sind, darf sich Siemens nicht engagieren.“ In Nokia-Siemens geht Siemens-Com zum 1. Januar weitgehend auf – jener Konzernteil also, gegen den sich die aktuellen Vorwürfe vor allem richten. Nassauers Forderung „würde aber für Siemens einen breiten Verzicht auf Umsatz bedeuten“, befürchtet Peter von Blomberg von Transparency im Gespräch mit der taz. Sie sei kaum umzusetzen, da es in allen Staaten mehr oder weniger Korruption gebe, eine Grenze also schwer zu ziehen sei. Steffen Salvenmoser, Korruptionsexperte bei der Beratungsfirma PriceWaterhouseCoopers (PWC) sagte hingegen der taz: „Ich finde das extrem arrogant zu sagen: Es gibt Länder, da kommt man ohne Schmieren nicht durch.“

Salvenmoser unterstützt Blombergs Vorschlag, die Bewerber für bestimmte Aufträge einen „Integritätspakt“ schließen zu lassen. In dem Pakt, der Teil der Ausschreibung sein sollte, sollten sich die Bewerber verpflichten, auf Korruption zu verzichten. Sie müssten ihre Angebote von Dritten durchleuchten lassen und bei Verfehlungen hohe Strafen akzeptieren.

Dass Siemens einen Ombudsmann zur Korruptionsbekämpfung eingesetzt hat, hält Blomberg prinzipiell für richtig, warnt aber vor überstürzten Maßnahmen. Der Ombudsmann kann mit Hinweisgebern anonym kommunizieren. Das Einrichten einer solchen Stelle müsse aber behutsam geschehen, weil sie mit Denunziantentum in Verbindung gebracht werde.