Polizei macht, was sie will

Der Wunsch von Politikern und Jugendlichen nach Deeskalation im Wrangelkiez scheint auf der Mannschaftsebene der Polizei noch nicht angekommen zu sein. Neuer Vorfall mit Staatsgewalt

von PLUTONIA PLARRE

Alles hatte so gut angefangen. Junge Männer türkischer Herkunft sitzen mit Polizisten, Sozialarbeitern und der Jugendstadträtin von Friedrichshain-Kreuzberg am runden Tisch. Die Stimmung ist gut. Nach der Auseindersetzung im Wrangelkiez zwischen Anwohnern und Polizei spricht man sich aus. Alle Seiten bekunden, sie seien gegen Gewalt, wollten ein friedliches Miteinander. Vorhaben wie eine Bürgersprechstunde der Polizei im Quartier werden ins Auge gefasst und dass man das konstruktive Gespräch in ein paar Wochen fortsetzen will.

Das war Montagabend. Der Friede hält keine 48 Stunden. Mittwochnachmittag kommt es unweit der Ecke, an der vor einer Woche Migranten und Polizei aufeinandergeprallt waren, zu einem neuerlichen Zwischenfall mit der Staatsgewalt.

Diesmal jedoch ist die Presse vor Ort. Folgt man der Darstellung der Reporter von Spiegel Online, haben die Anwohner allen Grund, von einer Provokation der Polizei zu sprechen. Dem entschiedenen Krisenmanagement von Bezirksbürgermeister Franz Schulz und dem Abgeordneten Özcan Mutlu (beide Grüne) ist es zu verdanken, dass die zu den Jugendlichen geknüpften Bande nicht sogleich wieder gekappt ist.

Spiegel Online zufolge gab der 31-jährige Sprecher der Jugendlichen, Senol, am Mittwochnachmittag in einem Café ein Interview, als sein Freund, der 23-jährige Mehmet S., hereinstürmt kam. Das ist der junge Mann, der sich vor einer Woche eingemischt hatte, als Polizisten im Wrangelkiez zwei 12-jährige Raubverdächtige mit Handschellen festnahmen. Mehmet S. war danach selbst festgenommen und später eigenen Angaben zufolge von Polizisten misshandelt worden.

Hinter Mehmet S., so Spiegel Online weiter, „kommen mehrere Polizisten in das Café gerannt, packen ihn grob und schleifen ihn zu ihrem Mannschaftswagen“. Auf ihre Frage nach dem Grund, hätten die Reporter keine Auskunft bekommen. „Später heißt es bei der Polizei, Mehmet habe sich verdächtig verhalten, weil er gerannt sei. Man habe daraufhin seine Personalien kontrollieren wollen, aber weil der 23-Jährige seinen Ausweis nicht dabei hatte, musste er mitgenommen werden.“

Er sei „entsetzt“ gewesen, als er von dem Vorfall hörte, sagte Bezirksbürgermeister Schulz gestern. Schulz berief noch am selben Tag einen runden Tisch ein, an dem diesmal auch der Leiter der Direktion 5, Bernhard Kufka, Platz nahm. Das Ergebnis teilten das Quartiersmanagement Wrangelkiez und Polizeipräsident Dieter Glietsch gestern in einer gemeinsamen Presseerklärung mit: Sowohl die Polizei als auch die Jugendlichen hätten demnach bekräftigt, „dazu beizutragen, dass mit Empathie und gegenseitigem Vertrauen eine gute Basis für die weitere Verständigung aktiv angestrebt wird“. Eine Aufklärung zu dem Vorfall ist nicht enthalten.

Der Hiphopper Senol hat aus dem Gespräch den Schluss gezogen, dass es im Kiez vonseiten der Polizei zu „keinen Povokationen mehr kommen wird“. Es würden auch „keine Mannschaftswagen mehr in voller Montur ohne Grund in den Kiez reingeschickt“.

Polizeipräsident Dieter Glietsch verwies gegenüber der taz darauf, dass die Beamten eine andere Darstellung von dem Einsatz am Mittwoch abgegeben hätten als Presse und Anwohner. Ob alles mit rechten Dingen zugegangen sei, lasse er zurzeit „prüfen und bewerten“. Jemand, der vor Polizisten weglaufe, dürfe sich aber nicht wundern, wenn diese hinter ihm herliefen.

„Ich war aber nicht dabei“, so Bürgermeister Schulz. Angaben der Augenzeugen bestätigen aber, dass Beamte der Bereitschaftspolizei vor dem Internetcafé in der Wrangelstraße ohne Grund bei den Jugendlichen Sonderkontrollen durchgeführt hätten. Wenn das stimme, habe er dafür nur eine Erklärung: „Der am runden Tisch von der Polizei bekundete Wille zu einer Deeskalation ist auf der Mannschaftsebene noch nicht angekommen.“ Und dass es ausgerechnet wieder Mehmet S. getroffen habe, sei „absolut tragisch“.