Der große Bahnhof mit den kleinen Macken

Der Hauptbahnhof ist sechs Monate nach seiner Eröffnung zum Berliner Superlativ avanciert. Täglich drängeln sich dort 300.000 Menschen. Dabei ist das Herzstück des Bahnkreuzes nur schlecht an den öffentlichen Verkehr angeschlossen

Täglich 300.000 Reisende, Umsteiger, Käufer und Besucher spuckt und verschluckt der neue Hauptbahnhof. Rund 400.000 Menschen „rangiert“ das Verkehrsbauwerk an Wochenenden, bei großen Sport- oder Messeveranstaltungen auf seinen fünf Ebenen, 14 Bahnsteigen, Rolltreppen und in den Fahrstühlen.

Wie eine Maschine produziert der Neubau seit einem halben Jahr fortlaufend Verkehr: 1.100 Züge rollen pro Tag durch die Glasröhre von Ost und West sowie in das Tiefgeschoss in Nord-Süd-Richtung. Gut die Hälfte davon sind S-Bahnen, die andere Hälfte Fern-, IC- und Regionalzüge nach Köln, Warschau, München oder Hamburg, die vom „Berliner Bahnkreuz“ aus starten. Alle 15.000 Quadratmeter Nutzfläche für insgesamt 80 Läden und Gastronomien sind ausgelastet, sagt die Bahn AG stolz. „Wir haben sowohl beim Verkehr als auch im Haus über den ganzen Tag eine hohe Frequenz“, nennt Michael Baufeld, Bahn-Sprecher, die tägliche Party.

Obwohl der Bahnhof zu dem Berliner Superlativ avanciert ist – nicht nur was seine Kosten in Höhe von rund 700 Millionen Euro angeht –, herrscht in manchen Bereichen noch immer Katerstimmung: So ist das Gebäude mit öffentlichen Verkehrsmitteln unzureichend erschlossen. Die Nord-Süd-Anbindung per S- oder U-Bahn fehlt. Den kurzzeitig eingerichteten Shuttle zwischen Südkreuz und Gesundbrunnen über Hauptbahnhof hat das Land – gegen den Wunsch der Bahn – eingestellt. „Eine bessere Anbindung wie die S 21 könnte helfen, das Defizit auszugleichen“, legt Baufeld nach. Doch wann die S 21 oder die U 55 gebaut würden, steht nicht fest.

Zum anderen ist im Autotunnel das Parkhaus unzureichend ausgeschildert, „zu kompliziert“ sagt Baufeld dazu, „aber es wird besser“. Wer vom Parkhaus zum Bahnhof will, braucht ebenfalls ein überdurchschnittliches Orientierungsvermögen.

Schließlich monieren bis dato Reisende die langen Wege und dass zu wenige Kartenautomaten zur Verfügung stehen, nämlich ganze vier am Süd- und Nordzugang.

Die Hauptkritik aber bezieht sich auf die Verbindungen mit Priorität nach Westen und in Richtung Südwesten: Da hätten die Bahnplaner strategische Fehler gemacht, kritisiert Karl-Peter Naumann vom Fahrgastverband Pro Bahn. „Verbindungen nach Norddeutschland wurden sträflich vernachlässigt“, sagt er. So werde zum Beispiel Rostock vom Fernverkehr abgehängt. Auch in Richtung Polen sehe es düster aus. Außerdem kritisieren die Fahrgastverbände noch immer die Überkapazitäten des Bahnkonzepts. Statt mehrere Stationen – Potsdamer Platz, Hauptbahnhof, Südkreuz, Gesundbrunnen – neu zu eröffnen, hätte eine gezielte Bündelung ausgereicht. ROLF LAUTENSCHLÄGER