Das Lotto-Tribunal

Ohne Glücksspielmonopol gewinnen alle – sagen Gutachter privater Wettanbieter. Seinen Befürwortern fällt die Replik offenbar schwer. Auch auf dem Podium der Liberalen Gesellschaft

von Benno Schirrmeister

Man ist immer ein wenig für den Underdog. Also zog überraschend der Geschäftsführer der Bremer Lotto-Gesellschaft, Michael Barth, Sympathien auf sich. Als einziger von sechs Diskutanten plädierte er Donnerstagabend für ein staatliches Wettspielmonopol.

Die Gegner: Jörg Wacker, der Chef des Zentralverbandes europäischer Wettanbieter. Markus Maul, Geschäftsführer des Sportwettenanbieters bwin Deutschland. Manfred Müller, Geschäftsführer von Werder Bremen. Hans-Jörn Arp, wirtschafts- und finanzpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Kieler Landtag – und treibende Kraft hinter dessen einstimmigem Nein zum neuen Lotto-Staatsvertrag. Und... wer noch? Ach ja. Magnus Buhlert, der FDP-Spitzenkandidat saß auch dabei und trug einen blau-gelben Schlips.

Das Thema ist komplex, die rechtliche Lage verworren und der Gegenstand – naja. Wer zockt schon bei Sportwetten? Und wer spielt Lotto? Abstrakter betrachtet aber ist Glücksspiel längst eine Säule der Gesellschaft: Die Gewinne der staatlichen Veranstalter fließen zu großen Teilen an Sportvereine, Sozial- und Kultureinrichtungen. In Bremen waren das im vergangenen Jahr fast 20 Millionen Euro.

Buhlerts Präsenz beim Talk war darin begründet, dass die Liberale Gesellschaft eingeladen hatte. Austragungsort war die VIP-Lounge des Weserstadions – damit war auch schon die Ausrichtung der Veranstaltung klar. Denn Werder ist derzeit wegen seines Trikot-Sponsors bwin Opfer der seit April vom bayerischen Zentralkommittee ausgegebenen Monopol-Doktrin. Als deren treuester Verfechter geriert sich Bremens Innensenator Thomas Röwekamp (CSU). Hat den T-Shirt-Aufdruck verbieten lassen, Sie erinnern sich, der allerdings in Aachen, Bielefeld und Stuttgart erlaubt bleibt. Sogar im Freistaat Bayern, hebt Müller süffisant hervor, sei man schon mit dem Werbeschriftzug aufgelaufen – in Nürnberg. „Die haben das nicht bemerkt.“ Gegen Chelsea hat man mit blanken Laibchen gekickt, sonst betreiben die Werderaner Umgehung mit dem legalen Slogan „we win“. Der Sponsor toleriert’s, noch, aber man munkelt von einer einvernehmlichen Trennung in der Winterpause.

Bei der FDP liegen die Dinge einfacher: Die Liberalen sind prinzipiell für Liberalisierung, auch wenn Vorschläge, wie ein freier Wettmarkt auszusehen habe, bislang ihre Sache nicht waren. Auch Buhlert macht da Ausnahme: „Für mich“, sagt er, „sind das Dienstleistungen.“ Was darauf abheben soll, dass es in der EU ja Dienstleistungsfreiheit gibt. Bloß erklärt die entsprechende Richtlinie Glücksspiel zum Sonderfall – was die Rechtsunsicherheit nicht entschärft.

Barth muss sich Unfreundliches anhören. Dass er kein Unternehmer sei, wie ihm Maul vorhält, oder Müllers Bonmot, nachdem der Lotto-Toto-Block als Wächter über Wettsucht eine so sinnvolle Besetzung wie „Dracula als Chef der Blutbank“ wäre. Moderator Horst-Jürgen Lahmann hatte die Tribunal-Atmosphäre vermeiden wollen, aber außer Barth sind die angefragten Monopolfreunde nicht erschienen. Was nicht dafür spricht, dass sie starke Argumente hätten vortragen können. Auch Barth ist mit seinen Kontern glücklos: Über die Stationen Alter Fritz, Adolf Hitler und Nachkriegsdeutschland dringt er zur Einsicht vor, dass staatliche Lotterien stets das Ziel hatten, „Haushaltsersatzmittel für Kirchenbauten oder Kriege“ zu generieren, wobei „der moralische Aspekt“ immer eine Rolle gespielt habe. Die habe Karlsruhe nun gestärkt. Tatsächlich hatte das Bundesverfassungsgericht Ende März festgestellt, dass es das Monopol nur geben darf, wenn die staatlichen Anbieter ihr Tun und Trachten in den Dienst der Wettsucht-Prävention stellen. Was faktisch einem Werbeverbot ähnlich dem für Tabak oder Säuglingsnahrung gleichkäme – nur weitaus strenger. Er denke, so Barth, „dass in dem Urteil eine Präferenz deutlich wird“. Jetzt müsste er noch sagen: fürs Monopol. Tut er aber nicht. Also doch nur Latte.

Den moralischen Aspekt haben die staatlichen Zockerbuden erst im April für sich entdeckt: Limits und Sicherheits-Protokolle hat man den engeren Standards der privaten Online-Spielhöllen angeglichen. Abgesehen vonheiklen Live-Wetten, sind die derzeit gar nicht so weit entfernt von dem, was ein auf Suchtprävention abzielender Rechts-Rahmen vorgeben könnte. Verantwortungsvoll spielen? Das geht, Wacker zufolge, auch privat: „Schließlich“, sagt er, „dürfen in diesem Land sogar Atomkraftwerke privat betrieben werden.“

Also lässt man derzeit Studien erstellen, die erklären, warum eine Öffnung nebst Abgaben-System eine feine Sache für alle Beteiligten wäre: Das ifo-Institut stellt seine Ergebnisse kommende Woche vor – und wird damit die Deloitte-Berater bestätigen. Die prognostizieren einen „signifikanten Anstieg des Steueraufkommens“. Auch Sport- und Kulturförderung stiegen an, würden, wie seit 2001 in England, Konzessionen verkauft, Bruttospielerträge besteuert – und die Gelder entsprechend verteilt.

Wenn sich die Monopolbefürworter durchsetzen, droht nicht nur den Wett-Unternehmern ein herber Verlust. „Allein durch die Schließung seines Lotto-Online-Portals“, prognostiziert Arp, „verliert Schleswig-Holsteins Landeshaushalt 30 Millionen Euro.“ Bremen wird es ähnlich gehen. Etlichen Breitensport-Anbietern und Kultureinrichtungen würde das die Füße weghauen. Und niemand pfeift Elfmeter.