Händchenhalten

Nachdenken über Weihnachten und den Weltfrieden: Im Konzert von Espers und Bardo Pont im Festsaal Kreuzberg wurde aus „Free Folk“ verhuschte Gemütlichkeit

Da vorn steht eine Band. Die Sängerin sieht man komischerweise nicht. Ach so, das liegt daran, dass sie sich einen Stuhl mitgebracht hat, das ist gemütlicher. Musik gibt es auch, obwohl man es immer wieder vergisst.

Die Band, die da im Festsaal Kreuzberg irgendetwas macht, nennt sich Espers, kommt aus Philadelphia und ist in dem Bereich, der sich „New Weird Folk“ oder sonstwie nennt, eine recht große Nummer. Ihre beiden bislang erschienenen Alben hört man sich zu Hause gern an: Man kommt dabei so schön ins Träumen und Wegdriften, besonders sonntags, wenn man den Tag sowieso nur herumbekommen möchte.

Geheimnisvoller und ruhiger Indiekram kann auch live funktionieren, so ist das ja nicht. Wer jemals die Band Low und deren Mormonenrock, der langsam bis an die Grenze zum Stillstand ist, erlebt hat, weiß das. Die Espers dagegen funktionieren nicht, überhaupt nicht. Ein paar Menschen mit Instrumenten in der Hand verlieren sich in sich selbst, blicken höchstens mal unsicher zum Kollegen rüber – was macht der gerade so? – und die Frau auf dem Stuhl gibt das verwunschene Burgfräulein. Nichts gegen Hippiemusik, Drogensound, Psychedelic, Daddelfolk, aber wenn man schon so etwas macht, sollte man es nicht wirken lassen wie eine Selbsttherapie, sondern das Publikum miteinbeziehen. So jedoch hat man das Gefühl, die Bandmitglieder halten sich imaginär alle fest an den Händen, ganz fest, damit die bedrohlichen Zuschauer die eigene Gemeinschaft bloß nicht stören.

Ob das nochmals etwas wird mit dem Free-Folk-Ding auf der Bühne? Von Devendra Banhart bis Midlake lösen alle diese Acts live nicht das ein, was man sich von ihnen durch ihre Platten verspricht. Vielleicht verhält es sich mit dieser Bewegung ähnlich wie mit der Laptop-Elektronik: Auf Platte funktioniert sie, weil man sich in Ruhe zu ihr selbst etwas Zusammenspinnen kann, aber live macht sie einem einfach kein Angebot, zu dem man sich seinen eigenen Film drehen kann.

Oder man schließt die Augen und nimmt dazu Drogen, aber so viel Hippiemäßigkeit kann einfach niemand von einem verlangen. Die Espers kommen einem plötzlich nicht mehr vor wie die hippste Obskurität nach Joanna Newsom, sondern wie die Verkörperung der Indiehölle, die niemand mehr zurückhaben will. Komische Waldschrate spielen vor schwarz gekleideten Zuschauern mit Hängeschultern, das erinnert dann doch zu sehr an die deprimierendsten Momente der Achtziger.

Bardo Pond, die danach aufspielen, ebenfalls aus Philadelphia kommen und als nicht minder entgrenzt, verrückt, verspult und all das gelten, sind um keinen Deut besser. Auch bei ihnen wirkt alles verhuscht, schemenhaft, grauschleierig und versuppt. Die Band, die es bereits seit über zehn Jahren gibt, gilt als eine der Speerspitzen der amerikanischen DIY-New-Folk-Szene. Man pocht auf Unabhängigkeit von der Plattenindustrie, verliert sich in unzähligen Nebenprojekten, vergeheimnist sich und versteht die Band nicht als Zweckgemeinschaft, sondern als soziale Kommune, in der der Liebeskummer eines Bandmitglieds das ganze Gefüge verändern kann und das auch soll.

Alles sehr sympatisch, und auch Bardo-Pond-Platten faszinieren durch ihre aufgebrochenen Songstrukturen, ihre Gitarrenstrudel und das generell Ausufernde. Aber ihr Auftritt erzeugt dann einfach keine Spannung, nichts Mitreißendes. Gesang, Querflöte, Gitarrengulasch, alles eiert so vor sich hin, während man selbst beginnt, über den Weltfrieden nachzudenken oder daran, was man seiner Freundin zu Weihnachten schenken soll.

ANDREAS HARTMANN