bücher für randgruppen
: wie die sparkasse zu ihrem logo kam und viele geschichten mehr: das legendäre typografiebuch von otl aicher

Jede Band benötigt ein Bankkonto und ein Logo. Als ich mit Nikolaus Utermöhlen 1980 Die Tödliche Doris gründete und dafür ein Konto eröffnete, fiel unser Blick auf das Logo der Sparkasse. Sehr schön sah das aus, modern und prägnant. Das Logo wurde einfach gespiegelt, zum kopfstehenden Fragezeichen und den Fans unter dem Slogan „Die Umkehrung der Werte“ als Sticker oder T-Shirt verkauft. Von der Leitung der Sparkasse gab es überraschenderweise keinerlei Beschwerden. Ermutigt wagte ich eine vorsichtige Anfrage, ob die Bank nicht vielleicht auch die T-Shirts der Band zu ihrem documenta-8-Auftritt finanzieren könnte. Die Anfrage wurde freundlich, aber bestimmt abgewehrt: „Unsere Werbeabteilung hält die Verwendung des gespiegelten Sparkassen-Logos für kontraproduktiv.“

Ursprünglich stammt der 1948 entwickelte Entwurf, ein zur Sparbüchse stilisiertes Sparkassen-S mit Einwurftülle und aufgesetzter Kreisform, von dem Wiener Plakatkünstler Lois Gaigg. Die Bausparkassen setzten 1967 ein Dach über das große S und nutzen es fortan als Markenzeichen. Doch dann, im Jahr 1971, kam die Wende. Dem Logo wurde der Einwurftrichter entfernt und im Detail der letzte Schliff gegeben.

Es war einer der wichtigsten deutschen Designer, der die Modifizierung vornahm. Der Verlag Hermann Schmidt stellt nun sein großformatiges, legendäres Typografiebuch vor. Otl Aicher: vom Künstler zum Grafiker und zurück. Es ist dies eine Originalreproduktion von Aichers 1989 erschienem, längst vergriffenem Werk „Typographie“. Im kurzen Vorwort stellen die Herausgeber Fragen nach der Wiederentdeckung des Meisters, dem das Grafikdesign die Piktogramme für die Olympiade München, die Lufthansa und den Rhein-Main-Flughafen verdankt.

Typografie ist die bildliche Form der Sprache, weiß das Buch und führt in englischer und deutscher Sprache durch Otls Welt. „Warum mit Staat keine Gestaltung zu machen ist“, erklärt der 1922 geborene Otl Aicher im Lebenslauf zum Ausklappen. Und beklagt, dass der Staat eine kritische und analytische Kultur zerstöre. Er selbst war mit den Geschwistern Scholl befreundet, weigerte sich, der Hitlerjugend beizutreten, und wurde 1937 inhaftiert. Sein Abitur wurde ihm 1941 aberkannt. Nach dem Krieg gründete er die legendäre Ulmer Hochschule für Gestaltung, die 1968 ausgerechnet von dem Exmarinerichter Hans Filbinger geschlossen wurde – aus Kostengründen. Dass die Kleinschreibung eine Domäne der Demokratie ist, wie Aicher glaubte, ist allerdings zweifelhaft. Jede Form lässt sich besetzen. Der Thor Steinar Katalog lockt Jungnazis heute eben nicht mit Dirndl, Marschmusik und altdeutscher Schrift.

Wo Otl die Wahrheit sucht, bei Wittgensteins definitiver Form eines Satzes, im Glauben an das Klare, Eindeutige oder an die Mission der Typografie, die bestmögliche Form der Mitteilung zu bieten, da blickt dann auch immer eine Portion Dogmatismus durch. Ob wir tatsächlich in Chaos und Diktatur leben würden, wenn die Ampeln eines Tag ausfallen würden? Im Kompromiss zwischen freier Gestaltung und Regelwerk sucht Aicher nach der ultimativen Schrift. Wenn er betont, dass Gaunerzinken keinesfalls Vorstufe unserer Kulturschriften seien, klingt das lustig. Auch seine Bemerkung, dass es nicht weiter störe, wenn zwischen steinzeitlichen Knocheneinkerbungen und unserem Alphabet kein Zusammenhang herzustellen sei – „man muss ihn auch nicht unbedingt finden“ –, tönt wie eine überflüssige, aber durchaus schöne Serife. Die Geschichte der Schrift, das Erscheinen der Piktogramme bis hin zu den Tontäfelchen aus Uruk gibt Aicher den Anlass, das Zeichen nach seiner Funktion und Schönheit zu durchsuchen. Und lange noch wecken seine Beispiele und Schlussfolgerungen Zustimmung, Ablehnung, Begeisterung oder Verwunderung. WOLFGANG MÜLLER

Otl Aicher: „Typographie“. Deutsch/Englisch. Verlag Hermann Schmidt, Mainz 2005, 256 Seiten, 49,80 Euro