„Es geht nicht darum, nur Tee vorzusetzen“

Kultursensible Altenpflege bedeute, sich auf die Biografie und Individualität jedes Einzelnen einzustellen, sagt die Sozialwissenschaftlerin Meltem Baskaya. Doch die interkulturelle Öffnung der Pflegeeinrichtung sei ein langer Prozess

taz: Frau Baskaya, was bedeutet kultursensible Altenpflege?

Meltem Baskaya: Das bedeutet, dass Altenpflege sich auf die Individualität des Menschen einstellen muss. Und wir beziehen das nicht nur auf Migranten, sondern auch auf andere Gruppen wie beispielsweise homosexuelle Senioren.

Was würde denn diesen Rentnern drohen, wenn sie in die nächstgelegene Altenpflegeeinrichtung gehen würden?

Es droht ihnen beispielsweise, dass sie sich für ihre Besonderheiten rechtfertigen müssen. Im Alter möchten die Menschen aber ihre Lebensleistung anerkannt wissen, sie möchten sich nicht ständig rechtfertigen und erklären müssen.

Was bietet kultursensible Pflege?

Es geht nicht einfach darum, türkischen Migranten nur Tee und Schafskäse vorzusetzen. Die wollen vielleicht lieber mal Nutellabrote. Vielmehr ist es wichtig, die Biografie des Einzelnen so genau zu kennen, dass man auf ihn eingehen kann. Natürlich gibt es aber auch kulturelle Merkmale: Essgewohnheiten beispielsweise oder die Einstellung zu Gesundheit und Krankheit.

Wie wirken sich solche Unterschiede aus?

Sie werden sichtbar, wenn zum Beispiel eine ganze große Familie zu Besuch in eine Pflegestation kommt. Darauf sind viele Heime hier nicht eingestellt. Hier geht man davon aus, dass ein Kranker Ruhe und Abgeschiedenheit braucht. Bei so etwas fangen die Unterschiede an.

Welche interkulturellen Altenpflegeangebote gibt es denn schon in Berlin?

Zum Beispiel das Pflegezentrum St. Marienhaus in Kreuzberg, das für sein interkulturelles Konzept in diesem Jahr mit dem Integrationspreis ausgezeichnet wurde. Auch in Spandau wird im kommenden Jahr ein interkulturelles Pflegeheim eröffnen. Das ist ein spannendes Projekt, dort wurde in enger Absprache mit der türkischstämmigen Bevölkerung geplant.

Welche Wünsche werden da geäußert?

Zum Beispiel gab es den Wunsch nach einer offenen Küche. Auch ein großer Speisesaal ist wichtig, damit besuchende Familienangehörige mitessen können. Bücher oder Fernsehprogramme in der Muttersprache gehören auch zu dem, was sich Migranten wünschen.

Wie groß ist denn das Interesse bestehender Pflegeeinrichtungen an interkultureller Öffnung?

Wir haben sehr viele Anfragen für Beratungen, und wir machen viele Infoveranstaltungen. Interkulturelle Öffnung ist aber ein langwieriger Prozess. Es läuft nicht so, dass man ein bisschen was ändert, und dann kommen die Kunden schon. Manche schrecken vielleicht auch deshalb vor den notwendigen Veränderungen zurück, weil sie sie für eine Belastung halten.

ALKE WIERTH