„Das Erste ist kein Viva für Arme“

Dagmar Reim ist die einzige ARD-Intendantin – noch. 2007 kriegt die Chefin des Rundfunks Berlin-Brandenburg Gesellschaft von WDR-Intendantin Monika Piel. Ein Gespräch über KollegInnen – und was 2007 für die ARD ansteht

VON STEFFEN GRIMBERG
UND HANNAH PILARCZYK

taz: Frau Reim, mit Monika Piel, der künftigen WDR-Intendantin, schließt eine zweite Frau in die Chefrunde der ARD auf. Was erwartet Frau Piel in der Chefrunde?

Dagmar Reim: Ich glaube, dass Monika Piel von nichts, was sich in dieser Runde abspielt, überrascht sein wird, weil sie ja die ARD kennt. Sie kennt die ARD seit 30 Jahren. Und ich kenne Monika Piel seit 30 Jahren. Insofern denke ich: Große Überraschungen wird es nicht geben.

Und umgekehrt: Sind von Frau Piel Überraschungen zu erwarten?

Ich rechne fest damit, dass Frau Piel wichtige Impulse mitbringen wird. Sie hat kurz nach ihrer Wahl gesagt: „Ich brenne darauf, diesen Sender zu leiten.“ Und daraus leite ich ab, dass sie eine Menge Kreativität und eine Menge Ideen im Köcher hat.

Wird mit der neuen Kollegin auch Ihre eigene Rolle innerhalb der ARD gestärkt – oder spielt das keine Rolle mehr?

Es spielt eine Rolle, und es spielt keine Rolle. Das ist eine merkwürdige Gemengelage. Wenn Frau Piel kommt, werde ich vier Jahre allein gewesen sein in dieser Runde. Und ich freue mich sehr, dass sie kommt. Noch lieber wäre mir, wir wären zu viert. Ungefähr.

Gibt es irgendein Fettnäpfchen, vor dem Sie Frau Piel warnen würden?

Ich erinnere mich an kein dramatisches Anfangsfettnäpfchen. Jedes Fettnäpfchen steht bekanntlich immer allein und neu in der Landschaft. Und ich denke, sie braucht da gar keine guten Ratschläge. Sie ist so erfahren.

Frau Piel hat angekündigt, das Profil der Öffentlich-Rechtlichen gegenüber den kommerziellen Angeboten zu schärfen – auch eines Ihrer Anliegen. Sind Sie froh, einen finanzstarken Sender auf Ihrer Seite zu wissen?

Meine Erfahrung in der ARD lehrt: Alles geht von Fall zu Fall. Es entstehen Koalitionen, die morgen keine mehr sind. Es geht um Interessenpolitik. Darüber darf keiner je einen Moment im Zweifel sein. Man vertritt den Sender, für den man steht, und versucht, im Rahmen der Gemeinschaft Dinge zu bewegen und Kollegen dafür zu gewinnen. Wenn das vorbei ist, beginnt ein neues Spiel. Es gibt keine dauerhaften Allianzen.

Die größte Aufgabe Ihrer Intendanz bleibt die Fusion von ORB und SFB. Nach bald vier Jahren im Amt: Was ist Ihre Bilanz?

Unsere Bilanz ist positiv – und zwar deshalb: Wenn zwei Sender fusionieren, 18 Kilometer voneinander entfernt, dann erwarten erst einmal alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, dass es für sie besser wird. Die Realität muss anders aussehen. Warum? Man hat ja von allem zwei, man hat zwei Chefredakteure, man hat zwei Archivleiter, man hat zwei Regionalkorrespondenten. Wenn man dann entscheidet, und die Entscheidungen sind in allererster Linie auf der Arbeitsebene getroffen worden, dann gibt es immer einen, der die Position nicht mehr hat, die er vorher hatte. Und von ihm zu verlangen, die Fusion gut zu finden, das wäre übermenschlich. Und deswegen waren diese durchaus deutlichen Knirschgeräusche und auch Auseinandersetzungen programmiert.

Diese Botschaft scheint vor allem bei den freien Mitarbeitern nicht angekommen zu sein – deren Proteste gegen Ihre Sparpläne waren teils sehr heftig. Glauben Sie, sie hätten weniger scharf ausfallen können, wenn man anders kommuniziert hätte?

Wir haben die Pläne ehrlich dargestellt. Ich denke heute, wir haben zu wenig kommuniziert. Und in vielen Fällen auch zu spät. Aber wir haben daraus gelernt. Wenn Sie zwei Betriebe zusammenführen, haben Sie 370 wichtigste Punkte auf der Agenda, und Sie schaffen es einfach nicht, jeden Punkt gleich konsistent, gleich schnell und gleich gewieft abzuarbeiten. Aber der Punkt „Kommunikation“, der war nicht gut. Der Altkanzler würde sagen, es war suboptimal.

Sie sind ja nicht nur der Sender der Region, Sie sind ja dienstrechtlich auch die Vorgesetzte der Menschen im Hauptstadtstudio – und da kommt bald jemand zurück, den Sie sehr gut kennen: Ulrich Deppendorf, der Ihnen in der RBB-Intendantenwahl unterlag.

Ich kenne Monika Piel besser als Ulrich Deppendorf.

Wenn wir über Heimkehrer reden, müssen wir auch über Hagen Boßdorf reden – als ARD-Sportkoordinator geschasst, könnte er bald zu seinem Heimatsender RBB zurückkehren. Allerdings träfe er dort auf die Einzige, die in der Intendantenrunde gegen seine Vertragsverlängerung bei der ARD-Programmdirektion gestimmt hat.

Da dies auch arbeitsrechtliche Fragen betrifft, kann ich dazu derzeit nichts sagen.

Ärgert es Sie, dass Boßdorf noch bis März Sportkoordinator ist? Für die Gebührenzahler stellt es sich doch sehr merkwürdig dar, dass ihm einerseits gekündigt wurde, er aber noch fast ein halbes Jahr weiterarbeiten darf.

Lassen Sie mich nur so viel sagen: Hätten wir ihm fristlos gekündigt, hätte er vor Gericht eine Handhabe gegen uns gehabt. So läuft sein Vertrag einfach aus.

Die vermeintlichen Exklusivverträge mit Jan Ullrich haben überall für Empörung gesorgt.

Ja, durch diese Geschichte sind wir sehr, sehr schwer beschädigt. Und zwar aus eigener Schuld. Dadurch haben wir massiv an Glaubwürdigkeit verloren.

Programmdirektor Günter Struve hat die Verantwortung für die Ullrich-Verträge übernommen. Trotzdem wird sein Vertrag aus Nachfolgermangel auch noch verlängert. Gibt es denn keine potenziellen Kandidaten?

Als neuer ARD-Vorsitzender wird Fritz Raff vom Saarländischen Rundfunk anfangen, die Themen zu sortieren. Was meine Präferenzen angeht, sei nur so viel gesagt: Es darf ja auch gerne mal jemand von draußen sein.

Zurück zum generellen Zustand der ARD: Friedrich Nowottny, der nicht dafür bekannt ist, die Lunte ans eigene Haus zu legen, hat in einem Interview mit dem Tagesspiegel den Senderverbund scharf kritisiert. Wie wird diese Legitimationskrise in Intendantenkreisen diskutiert?

Ich glaube, dass das Wort „Legitimationskrise“ überspitzt ist. Aber es sind Fehler geschehen, und diese Fehler kann man nicht mit einem Federstrich ungeschehen machen. Deswegen heißt es jetzt, das Bewusstsein dafür zu schärfen, das so etwas nicht wieder vorkommen kann.

Noch einmal: Wie bewerten Sie die Verkäufe der ARD momentan? Es kann Sie doch kaum glücklich stimmen, dass gemeldet wird, dass Günther Jauch in Sachen Sabine-Christiansen-Nachfolge alle Sendungen und Werbeverträge weiterlaufen lassen darf.

Von dem, was er bewegen kann, und so populär, wie er ist, glaube ich, dass Günther Jauch gut zu uns passt. Er spricht ein jüngeres Publikum an, und das ist genau das, was wir wieder häufiger in unseren Programmen versammeln wollen.

Stichwort „ältere Zuschauer“. Angesichts des demografischen Wandels könnte man meinen, ARD und das ZDF erst recht seien für die nächsten 30, 40 Jahre bestens aufgestellt.

Demografisch läuft alles auf uns zu. Aber es wäre ein Trugschluss, sich damit zufriedenzugeben. Wir wollen Gebühren von allen. Das bedeutet: Wir dürfen uns nicht für den sogenannten Best-Ager- oder Silver-Ager-Weg entscheiden. Wir müssen unbedingt jüngere Menschen für unsere Programme gewinnen, allerdings ohne auf Krawall zu setzen. Es wäre ein Todesstoß für das Erste Deutsche Fernsehen, so zu tun, als sei es Viva für Arme.

Nun haben Sie selbst die Gebührenfrage angesprochen. Halten Sie eine geräteabhängige Gebühr noch für akzeptabel?

Das ist eine schwierige Diskussion, weil sich die Verbreitungswege so dramatisch und schnell ändern. Das bedeutet, es kann gut sein, dass man an der geräteabhängigen Gebühr – also: der Besitz eines Empfangsgeräts ist die Voraussetzung für die Gebührenforderung – nicht mehr wird festhalten können. Die Frage ist nur: Was dann? Vor Jahren ist das Modell der sogenannten Haushaltsgebühr, bei der eine bestimmte Gebühr pro Haushalt fällig wird, schon einmal gerechnet worden – und es kam doch zu gigantischen Differenzen. Wenn wir aber zusätzliche Gebührenverluste hätten, dann würde es für kleine Sender wie etwa den RBB enorm schwierig werden. Schon jetzt sind wir extrem von den Gebühreneinbrüchen im Osten Deutschlands betroffen. Und wenn dann noch eine Gebühr zustande käme, die die Einnahmen dramatisch reduzierte, dann wäre – wie man im Rheinland sagt – Schicht für uns.

In Sachen PC-Gebühr ist es für die Öffentlich-Rechtlichen ja denkbar schlecht gelaufen. In den Staatskanzleien hat man gejubelt, dass ARD und ZDF auf einmal die PC-Gebühr vertreten bzw. rechtfertigen müssen – nicht die Politiker, die sie eigentlich vorgeschlagen und beschlossen haben.

Ein Fall historischer Ungerechtigkeit. Man kann aber auch sagen: Sehr geschickt von den Ländern. Wir haben gesagt, was zu sagen ist. Aber Sie kennen auch ein bestimmtes mediales Grundrauschen, das irgendwann nicht mehr zu übertönen ist. Wir fanden einfach kein Gehör mehr mit unserer Botschaft: „Das ist aber im Rundfunkgebühren-Staatsvertrag von den Ländern festgelegt worden.“ Nein, was hängenblieb, war: „Die gierigen Sender greifen nach unseren PCs.“

Keine guten Aussichten für 2007 – immerhin steht im ersten Halbjahr das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Gebührensystem an. Bemüht sich die ARD, dann strategisch besser aufgestellt zu sein?

Ich kann es nur hoffen. Wir bereiten uns darauf vor und rechnen mit dem Karlsruher Urteil im ersten Quartal des neuen Jahres.