Das total versaute Weihnachtsfest

Wie Sie Ihren Eltern die Feiertage zur Hölle machen können. Eine Wahrheit-Lebenshilfe

Seit Jahren besuchen Sie Ihre Eltern zu Weihnachten, und seit Jahren sind die Feiertage ein Festival des Ärgers und des Streits. Denn Ihre Eltern sind eben Ihre Eltern. Ihr Vater will sowieso nur wissen, wann Sie endlich ihr angebliches Studium beenden und Geld verdienen. Und Ihre Mutter ist eigentlich nur an Enkelkindern interessiert. Jedes Mal das gleiche unsägliche Spiel. Doch damit ist jetzt endgültig Schluss! Diesmal werden Sie Ihren Eltern ein unvergessliches Fest der Liebe bereiten. Halten Sie sich nur an den Wahrheit-Ratgeber in sieben Kapiteln.

Chaos einladen

Im Bahnhof Ihrer Heimatstadt angekommen, suchen Sie sich auf dem Vorplatz aus der Gruppe Lunger-Punks den Wildesten heraus, versprechen ihm eine „echt geile Party“ und nehmen ihn mit nach Hause. Ihren überraschten Eltern stellen Sie Ihren neuen Freund unter seinem Spitznamen „Chaos“ vor. Ihre verunsicherte Mutter überzeugen Sie von dem schon leicht angetrunkenen Gast, indem Sie erklären, dass es schließlich alte englische Sitte sei, zu Weihnachten einen Fremden von der Straße an die Festtafel einzuladen. „Chaos“ begrüßt inzwischen Ihren Vater mit den gerülpsten Worten: „Bullshit, Breakdown, Cha Cha Cha“. Das ist sein ganzer Text für den Abend, er hat sich bereits aufs Sofa im Wohnzimmer verzogen, den Fernseher eingeschaltet und trinkt Vaters gutes Bier auf Ex.

Gans verschmähen

Sobald Ihre Mutter stolz die knusprige Gans auf den festlich gedeckten Tisch bringt, verkünden Sie, dass Sie zum Glück seit Monaten Veganer seien. Die Tiere unserer Welt bräuchten wenigstens einen Beschützer, und der seien Sie. Demnächst gäbe es eine Nacktdemonstration der Tierschutzorganisation „Tita“ in Berlin-Mitte oder Warschau, an der Sie und Jeanette Biedermann persönlich teilnähmen. Wenn Sie nur an diese arme Kreatur dächten, könnten Sie gar nichts mehr hinunterbekommen – außer vielleicht eine winzige Keule, die Sie sich jetzt auf den Teller hieven. „Chaos“ möchte nichts mehr zu sich nehmen, er hängt auf der Toilette und kotzt Vaters gutes Bier aus, das er nicht verträgt.

Waage verstellen

Endlich Bescherung! Sie schenken Ihrer Mutter eine Waage, die Sie von einem technisch versierten Freund haben manipulieren lassen. Sie zeigt zehn Kilo zu viel an. Die alte Waage lassen Sie sofort im Mülleimer verschwinden, und Ihre Mutter nötigen Sie in voller Montur auf Ihr Geschenk. Sie wird entsetzt sein und tagelang nichts mehr essen können, erst recht nicht von den vielen Plätzchentellern, die überall im Haus herumstehen. „Chaos“, der zwischenzeitlich Vaters guten Brandy entdeckt hat, nennt Ihre Mutter mittlerweile „Mutti“.

Islamist werden

Ihrem Vater schenken Sie eine Billigausgabe des Koran auf Persisch. Sie wären jetzt nämlich kurz davor, dem Islamismus beizutreten, eventuell auch Scientology, versichern Sie. Ja, Sie planten sogar im nächsten Jahr eine Reise nach Seattle und/oder Pakistan. Da würde es „voll abgehen“. Zuvor müssten Sie nur ein kleines Problem lösen. Das wäre allerdings nicht der Rede wert. Solange das Heroin nicht gestreckt sei, hätten Sie „alles voll im Griff“. „Chaos“ liegt derweil mit dem Kopf im Schoß Ihrer Mutter und saugt abwechselnd am Daumen und an einer Flasche Cognac, den Ihr Vater für besondere Anlässe zurückgelegt hat.

Hasen opfern

Bevor Ihre Eltern Ihnen mit den üblichen Fragen über Ihre Zukunft kommen, berichten Sie von Ihren grandiosen neuen Plänen. Dass Sie jemanden kennengelernt hätten, der in der Filmindustrie tätig sei. Er habe Ihnen schon ein viel versprechendes Angebot gemacht, demnächst würden Sie wohl als Charakterdarsteller in einem religiös inspirierten Spielfilm mitwirken. Sie versprächen sich einen deutlichen Karrieresprung von der Mitwirkung in dem künstlerischen Meisterwerk „Altar der blutjungen Hasen“. Bei dem Wort „Hasen“ wacht „Chaos“ auf und stürzt Richtung Toilette. Für „Chaos“ ist der Abend gelaufen.

Zeche prellen

Am nächsten Morgen ist „Chaos“ verschwunden – und mit ihm ein wertvolles Münzenset aus der Sammlung Ihres Vaters. Zum Ausgleich laden Sie Ihre Eltern zum Weihnachtsfestmahl ein. Sie bestehen darauf, ins beste Lokal der Stadt zu gehen und alles zu zahlen. Sobald der Kellner die Speisen bringt, beten Sie minutenlang lautstark, so dass sich alle anderen Gäste nach Ihnen umsehen. Das mittlerweile kalte Essen lassen Sie zurückgehen. Mehrmals beleidigen Sie den Kellner als „Obergauner“, so dass es Ihren Eltern überhaupt nicht schmecken will. Wenn Sie schließlich die Rechnung verlangen, haben Sie selbstverständlich Ihr Portemonnaie „vergessen“, oder besser noch: „Chaos“ hat es Ihnen gestohlen, so dass Ihr peinlich berührter Vater die Rechnung umständlich mit seiner Kreditkarte zahlen muss, die er noch nie im Leben benutzt hat.

Rückkehr ankündigen

Zum Abschied erklären Sie Ihren Eltern, dass es für Sie das schönste Weihnachtsfest Ihres Lebens war. Es habe Ihnen so gut gefallen, dass Sie schon in zwei Wochen wiederkommen wollen. Sie würden dann vier, allenfalls sechs Monate bleiben. Denn Sie müssten sich schließlich in Ruhe auf Ihre Seattle-Pakistan-Reise vorbereiten. Und dafür sei das Haus Ihrer Eltern genau der richtige Platz. Sie würden dann auch einen befreundeten Muezzin mitbringen, mit dem sich Ihre Eltern „hundertpro“ verstehen würden. Denke er doch in vielen politischen und gesellschaftlichen Fragen ganz ähnlich wie sie. Außerdem sei er im Nebenberuf Chemiker und experimentiere mit neuen Stoffen auf Morphinbasis. Dafür eigne sich der Hobbykeller Ihres Vaters ganz hervorragend.

„Chaos“ könne ja dann auch wieder zu Ihnen stoßen. „Chaos“ habe sich doch so wohl gefühlt in Ihrer Familie. Das habe man deutlich gespürt. Falls Sie ihn am Bahnhof zufällig treffen sollten, würden Sie ihn schön von Ihren Eltern grüßen und ausrichten, dass ihm der Diebstahl längst verziehen sei. Schließlich sei doch Weihnachten gewesen, und „Chaos“ könne ruhig die Tage mal wieder bei Ihren Eltern vorbeischauen.

Die von Tränen geröteten und vor Angst geweiteten Augen Ihrer zitternden Eltern sollten Ihnen Entschädigung genug sein für all die schrecklich besinnlichen Weihnachtsfeste der vergangenen Jahre. Halleluja …

MICHAEL RINGEL