Revolte mit Paul Auster

Als Deleuze-Fan hat man es in der Provinz nicht leicht: Sebastian Ingenhoff erzählt in seinem literarischen Debüt von pubertierenden Poststrukturalisten – die Novelle „Rubikon“

Manche Intellektuellen fangen früh an. Diese hier sogar besonders früh. Die Novelle „Rubikon“, das literarische Debüt des 28-jährigen Journalisten Sebastian Ingenhoff, erzählt die Geschichte von drei intellektuellen Grundschülern, die sich selbst als „Poststrukturalisten“ bezeichnen. Lars, Lukacs und der Ich-Erzähler sind dicke Freunde und wohnen in einem Dorf in der Provinz, dessen Bewohner wenig Verständnis für normabweichende Kinder haben. Außenseiter also in geisttötender Umgebung. Aus dieser Grundkonstellation ergibt sich eine Geschichte, die ebenso komisch wie skurril ist.

Die Protagonisten sind nicht einverstanden mit den herrschenden Verhältnissen. Sie interessieren sich für Bücher, ihr besonderer Liebling ist der französische Philosoph Gilles Deleuze. Literatur ist für die drei mehr als nur ein Fluchtpunkt, was schließlich zu Problemen führt. In gestelzten Sätzen fühlen sie sich zu Hause und werden dafür von ihren Mitschülern gehänselt und verprügelt. Eines Tages beschließen sie, den örtlichen Schlachthof durch einen Buttersäureanschlag außer Gefecht zu setzen, was ihre Probleme nicht kleiner werden lässt. Von nun an sind sie die Gejagten und haben nur eine Chance: die Grenzen des Dorfes zu überwinden. Mit einem kunstfertigen Stil, in den konsequenterweise immer wieder Elemente der Kindersprache einfließen, erzählt Ingenhoff von den ständigen Rückschlägen und Hindernissen, die sich den aufrührerischen Charakteren auftun. Dabei wird häufig dem Absurden gefrönt. Lars Vater schnarcht beispielsweise während des Mittagsschlafes so laut, dass die Polizei kommt, „weil die dachte, da würden illegale Schwarzarbeiter ein Haus neu bauen“.

In Ingenhoffs kindlichem Universum ist das Tragische ganz klar stets mit dem Komischen verbunden, das Leben der drei kuriosen Charaktere erscheint wie eine nicht enden wollende Sisyphosarbeit – und der Gegner lauert überall. Das Buch ist größtenteils in der indirekten Rede geschrieben. Daraus ergeben sich zum Teil lange Schachtelsätze, die nicht immer leicht lesbar, aber natürlich sinnvoll sind – angesichts der Tatsache, dass die Hauptfiguren „Poststrukturalisten“ sind. Dann verwebt Ingenhoff auch noch Elemente des Schelmenromans mit surrealistisch anmutenden Sequenzen. Und dazwischen gibt es immer wieder Zitate und Anspielungen auf die Literatur. Am Ende hat sogar der Meister postmoderner Verwirrspiele, Paul Auster, einen Gastauftritt als Fahrkartenkontrolleur. Wer Deleuze, Auster und Co. überhaupt nicht kennt, mag manchmal vielleicht etwas ratlos dastehen. Aber man muss auch gar nicht unbedingt jeden Verweis verstehen, um bei der Lektüre ins Schmunzeln zu geraten.

Auf Song- und Popzitate wird in „Rubikon“ hingegen völlig verzichtet, was einerseits erstaunlich ist, da Sebastian Ingenhoff eigentlich als Musikjournalist arbeitet. Die klassischen Jungsthemen Musik und Mädchen spielen keine Rolle. Warum auch nicht? Es gibt ja andererseits auch viel Wichtigeres im Leben. Bücher und Freundschaft zum Beispiel, und natürlich die Revolte. Um die geht es hauptsächlich in dieser schönen Geschichte des jungen Kölner Debütanten. Eine intellektuelle Revolte, mit der man gar nicht früh genug anfangen kann. CIGDEM AKYOLSebastian Ingenhoff: „Rubikon“. Ventil Verlag, Mainz 2006, 108 Seiten, 8,90 Euro