BenQ insolvent

AUS KAMP-LINTFORT ALEXANDER FLORIÉ

Die Situation hätte grotesker nicht sein können. In der Eingangshalle zum Kamp-Lintforter Werkstor saßen die BenQ-Mitarbeiter eine halbe Stunde nach Mitternacht ausgerechnet mit ihren BenQ-Siemens-Handys auf den beiden Seitenbänken, um ihren Freunden per SMS ein gutes neues Jahr zu wünschen. Drei Monate lang haben sie hier am Niederrhein um ihre Existenz gekämpft. Am Ende bleibt für 1.600 Menschen am Standort und den insgesamt 3.000 BenQ-Beschäftigten nur noch der Gang in die Transfergesellschaft und die Hoffnung auf das versprochene Geld von Siemens. Am Neujahrstag haben der Insolvenzverwalter und Siemens die entsprechende Rahmenvereinbarung unterschrieben.

Mit dem Jahreswechsel begann die Zeit der Insolvenz für den Handyhersteller Siemens-BenQ. Die Produktion und wirtschaftliche Tätigkeit müsse eingestellt werden, sagte gestern die Sprecherin des Insolvenzverwalters. Vor gut vierzehn Monaten hatte die Siemens AG ihre Handy-Fertigung an den Standorten München, Kamp-Lintfort und Bocholt an das Unternehmen BenQ aus Taiwan verkauft. Siemens hatte den Anschluss an die erfolgreichen Mobilfunk-Konzerne wie Nokia und SonyEricsson verloren, absatzstarke Modelle fehlten, satte Gewinne waren nicht absehbar. BenQ erweckte den Eindruck, eine Lösung zu besitzen – was sich aber bald als falsche Hoffnung herausstellte. Die Firma aus Taiwan hatte sich einen Teil des technischen Know-how gesichert, ohne in die Zukunft der Siemens-Handy-Sparte zu investieren.

Gestern kamen in München deshalb der Insolvenzverwalter Martin Prager und der BenQ-Betriebsrat zusammen. Sie berieten über einen Drei-Seiten-Vertrag, Finanzierungsvereinbarungen, Aufgaben der Transfergesellschaft, Regelungen zur Altersteilzeit und Interessenausgleich. Bis zum Redaktionsschluss prüfte der Betriebsrat die Verträge noch.

Für die Mitarbeiter, die in dem prachtvoll geschmückten Kamp-Lintforter Solidaritätszelt ihre Abschluss-Silvesterparty feierten, spielten die Verhandlungen nur eine Nebenrolle: „Die Feier, das ist noch mal das i-Tüpfelchen mit den Leuten, die man in den letzten drei Monaten hier gesehen hat“, freute sich die kaufmännische Mitarbeiterin Claudia Finschen. Doch wer in dieser Nacht zurückblickt, tut das im Zorn – auf Siemens: „Die haben uns den Wölfen zum Fraß vorgeworfen“, sagt etwa Jörg Henke, der vor zehn Jahren seinen Job auf der Zeche aufgab, weil er dachte, „hier ist die Zukunft“. Um Mitternacht knallten auch vor dem BenQ-Eingangstor die Sektkorken – und 30 Menschen, die in dem Kampf um die Handyfabrik zu Verbündeten geworden sind, umarmen sich. Jörg Henke weinte vor Rührung, weil sein früherer Steiger, den er vor zehn Jahren zuletzt gesehen hat, gekommen war, um ihm Glück zu wünschen. „Die große Solidarität und Gemeinschaftlichkeit und was diese Menschen hier an Fähigkeiten entwickelt haben, das bleibt“, glaubt auch BenQ-Gesamtbetriebsrat Michael Leucker. Wenn das Protestzelt am 6. Januar abgebaut wird, wollen die Protestierer sich regelmäßig im „Alten Casino“ gegenüber der Kamp-Lintforter Zeche treffen.

Auch ohne Solidaritätszelt und trotz Insolvenzeröffnung glaubt Betriebsrat Leucker eisern an eine Zukunft für die Produktionsstandorte in München, Kamp-Lintfort und Bocholt. Er setzt auf die nächsten Schritte: So habe das Amtsgericht München noch darüber zu entscheiden, ob der vorläufige Insolvenzverwalter Martin Prager auch die Geschäfte weiterführen soll. Zum anderen baut Leucker auf eine deutsch-amerikanischer Investorengruppe. Der Betriebsrat rechnet damit, dass die Unternehmer aus der IT- und Halbleitertechnik heute ihr Angebot für die weitere Produktion vorlegen. Leuckers Prognose: „Das ist hier noch nicht zu Ende.“