Jenseits von Samba und Zuckerhut

„Brasil Plural“ ist ein reisendes südamerikanisches Filmfestival

Brasilien, das sind die hüftschwingenden Bikinischönheiten unter dem Zuckerhut und die Sambarhythmen zum Karneval. Genauso wie für Frankreich der Charmeur vor dem Eifelturm mit dem Baguette unterm Arm steht und in England der Gentleman auf ewig mit der Melone auf dem Kopf in der Schlange auf den roten Doppeldeckerbus wartet. Das Unterhaltungskino braucht seine Klischees und zu viel Realismus stört im Genrefilm nur. Und wenn in Lateinamerika und den USA viel mehr potenzielle Kinobesucher spanisch als portugiesisch sprechen, dann ist die Muttersprache der Brasilianer im Film selbstverständlich spanisch. Der Brustton der Überzeugung, mit dem ein Schauspieler dieses in Hollywood geduldig einer Filmemacherin aus Brasilien erklärt, gehört zu den komischen Höhepunkten des Dokumentarfilms „Der Blick von außen“ („O Olhar Estrangeiro“). Lucia Murat untersucht hierin das Bild, das in ausländischen Filmen aus den letzten vierzig Jahren von ihrem Heimatland verbreitet wurde. Dafür interviewte sie Regisseure, Drehbuchautoren und Schauspieler in den USA, Frankreich und Schweden, deren Darstellungen ihrer Heimat sie sehr direkt hinterfragt. Dabei bekommt sie zum Teil entlarvende, manchmal aber auch sehr kluge Antworten. So sagt etwa Michael Caine, der in den 60er Jahren in mehr als nur einem Film am Copacabana lustwandelte, die Brasilianer bräuchten doch nur „hässlicher werden und mit dem Tanzen aufhören“, und schon würde die Welt sie ernster nehmen! Ein politisch wohl nicht so ganz korrekter Satz, der aber das Dilemma genau auf den Punkt bringt: Wenn nicht ein Funken Wahrheit in den Klischees stecken würde, würde es wohl so wenige Kinobilder von Brasilien geben wie von Uruguay oder Grönland.

Denn das brasilianische Kino selber ist international fast gänzlich unbekannt. Es gibt zwar immer mal wieder einen außerordentlich gut gelungenen Film, der schließlich auch in deutschen Programmkinos zu sehen ist. 2003 war dies der explosive „City Of God“ von Fernando Meirelles, im letzten Jahr „The Man Who Copied“ von Jorge Furtado. Aber von den etwa 40 Filmen, die jährlich in Brasilien produziert wurden, verlassen nur sehr wenige ihr Herstellungsland. Dieses versucht die Initiative „Brasil Plural“ zu ändern, indem sie ein Programm mit Kurz-, Spiel- und Dokumentarfilmen in deutschen, schweizerischen und österreichischen Kinos zeigt. Nun, im neunten Jahr, wird diese Auswahl zum ersten Mal auch im Bremer Kino 46 gezeigt. Eine Woche lang sind fünf Langfilme und zwei Programme mit Kurzfilmen zu sehen, und das Programm beginnt heute Abend mit „Der Blick von außen“. Am ehesten den dort hinterfragten Klischees entspricht von den gezeigten Filmen wohl noch die zweite Dokumentation der Auswahl „Der fabelhafte Fábio“ („Fábio Fabuloso“) von Pedro Cezar, in dem der Lebensweg des „größten brasilianischen Surfers aller Zeiten“ nachgezeichnet wird. Auch die primitiv lebenden Indianerstämme im Amazonas sind ein Kinoklischee, und es ist interessant, ob dieses durch den Abenteuerfilm „Tainá, ein Abenteuer im Amazonas“ („Tainá, uma aventura na amazonia“), der von einem Indianermädchen erzählt, das im Urwald gegen illegale Tierfänger kämpft, korrigiert oder verstärkt wird. „Nina“ von Heitor Dhalia erzählt von einer Frau, die versucht in São Paulo ohne Geld würdevoll zu überleben, und war 2004 ein kleiner Erfolg auf internationalen Festivals. „Verflixtes Fleisch“ („A Marvada Carne“) von André Klotzel ist schließlich eine Komödie, die schon 1985 entstand, und im Lexikon des internationalen Films als eine „bewußt naiv gehaltene Fabel, die sich aus Erzählungen und Mythen Brasiliens speist und in die schlichte Erzählung folkloristische Elemente einfließen läßt“ beschrieben wird. Wilfried Hippen