Aufschwung geht an Ausbildung vorbei

Institut: Ausbildungslücke ist viel größer, als die Bundesagentur für Arbeit offiziell angibt: Jugendliche, die in Warteschleifen stecken oder aufgegeben haben, fallen aus der Statistik. Tatsächlich fanden 160.000 Bewerber 2006 keine Lehrstelle

VON ULRIKE HERRMANN

Die deutsche Wirtschaft boomt – und trotzdem finden viele Jugendliche keinen Ausbildungsplatz. Rund 160.000 Bewerber gingen im vergangenen Jahr leer aus, hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) jetzt hochgerechnet.

Dabei sehen die offiziellen Zahlen harmloser aus. Gestern publizierte die Bundesagentur für Arbeit ihre Arbeitslosen-Statistik für Dezember (siehe unten). Ergebnis: Nur 20.400 Bewerber blieben ohne Lehrstelle. Hinzu kamen 28.300 Jugendliche, die ihre Ausbildung nicht angetreten oder wieder gekündigt hatten. Von den gemeldeten Lehrstellen waren 7.600 noch unbesetzt.

„Diese Zahlen bilden die Ausbildungslücke nur ungenügend ab“, sagt IAB-Forscher Christian Ebner. Eine andere Statistik offenbart das Drama: Ende September waren bei den Arbeitsagenturen insgesamt 763.000 Bewerber für eine Ausbildung registriert – doch nur etwa 371.500 fanden einen Lehrbetrieb. Der Rest musste sich Alternativen suchen: 22 Prozent versuchten ihre Chancen auf eine Lehrstelle zu erhöhen, indem sie wieder die Schule besuchten oder aber an berufsvorbereitenden Maßnahmen teilnahmen. 10 Prozent wollten sich als ungelernte Hilfskräfte auf dem Arbeitsmarkt verdingen – und nicht wenige sind „unbekannt verblieben“.

Beide Geschlechter sind gleich betroffen: Bei den Mädchen finden 49 Prozent eine Lehrstelle, bei den Jungen sind es 50 Prozent – obwohl die Bewerberinnen deutlich bessere Schulabschlüsse aufweisen.

Vor allem Hauptschüler haben schlechte Chancen: Nur 43 Prozent konnten an eine Lehrfirma vermittelt werden. Erfolgreicher waren die Realschüler mit 53 Prozent. Damit überrundeten sie sogar die Abiturienten, die nur zu 50 Prozent einen Ausbildungsplatz fanden – wahrscheinlich weil sich Gymnasiasten nicht gezwungen sehen, jedes Angebot anzunehmen. Schließlich steht ihnen auch ein Studium offen.

Erstaunlich wirkt zunächst die hohe Vermittlungsquote bei Schulabbrechern und Förderschülern: 63 Prozent fanden eine Berufsausbildung. Allerdings gelangen viele schwache Schüler gar nicht erst in die Statistik, weil offiziell nur als „Bewerber“ gilt, wer von der Berufsberatung als „ausbildungsreif“ und „für den gewünschten Beruf als geeignet“ befunden wurde.

Junge Ausländer werden besonders benachteiligt, auch wenn sie ebenso gute Zeugnisse vorweisen können wie die deutschen Mitbewerber: Von den ausländischen Hauptschülern bekamen nur 31 Prozent eine betriebliche Lehrstelle, bei den Realschülern waren es ganze 34 Prozent.

Insgesamt sind die Jugendlichen die großen Verlierer auf dem deutschen Arbeitsmarkt: 415.015 Arbeitslose waren im Dezember unter 25 Jahre alt. Noch einmal so viele dürften sich in diversen Maßnahmen der Arbeitsagenturen befinden. Das Statistische Bundesamt hat ermittelt, dass die tatsächliche Jugendarbeitslosigkeit bei rund 15 Prozent liegt – das ist fast doppelt so viel wie bei den Erwachsenen.