Das Dienstleistungsproletariat kommt

Anteil der geringqualifizierten Beschäftigten steigt in Handel und Reinigung. Arbeitgeber wollen mehr Flexibilisierung

BERLIN taz ■ Die Löhne sind zwar niedrig, aber vielen Unternehmen immer noch zu hoch: Die vergleichsweise hohen Arbeitskosten seien immer noch die Beschäftigungsbremse Nummer eins für geringqualifizierte Jobs. Sie hindere viele Arbeitgeber daran, mehr dieser Stellen zu schaffen. Dies ergab eine Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) unter 20.000 Unternehmen, die gestern in Berlin präsentiert wurde.

Fast zwei Drittel der befragten Betriebe hätten in der Studie angegeben, dass sie zusätzlich Geringqualifizierte einstellen wollten, wenn die Beschäftigungshindernisse beseitigt seien, erklärte DIHK-Vizegeschäftsführer Achim Dercks. Dazu müssten etwa die Lohnzusatzkosten gesenkt werden. Zu den Hindernissen zählten auch die gesetzlichen Vorgaben bei Befristung und Kündigungsschutz. Mehr als ein Viertel der befragten Unternehmen beklagte zudem die fehlende Motivation der Bewerber.

Ob eine noch weitergehende Flexibilisierung des Jobmarktes tatsächlich neue Stellen für Geringqualifizierte entstehen ließe, ist aber unter Arbeitsmarktforschern umstritten.

16,1 Prozent der Beschäftigten in Deutschland hatten im Jahr 2005 keine formale Berufsausbildung, dieser Wert war seit dem Jahre 2000 um 0,3 Prozent gefallen, ergeben Zahlen des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) in Gelsenkirchen.

Die Entwicklung verläuft je nach Branche unterschiedlich: Während in der Industrie Hilfsjobs zusehends abgebaut werden, ist das in der Dienstleistung nicht überall so. „Für Geringqualifizierte öffnen sich, wenn überhaupt, im Dienstleistungsbereich neue Perspektiven“, sagt Karen Jaehrling, Arbeitsmarktexpertin beim Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) in Gelsenkirchen.

Im Reinigungsgewerbe habe es etwa in den vergangenen Jahren einen Beschäftigungszuwachs gegeben, so Jaehrling. Im Einzelhandel ist der Anteil der Beschäftigten ohne Berufsausbildung leicht gestiegen, gut jede fünfte Beschäftigte dort hat keinen formalen Ausbildungsabschluss. Dies könnte eine Bestätigung für die Klagen der Gewerkschaft Ver.di sein, dass qualifizierte Verkäuferinnen zunehmend durch billigere Anlernkräfte ersetzt werden.

Nach wie vor aber haben es Leute ohne Berufsabschluss erheblich schwerer auf dem Jobmarkt als Bewerber mit Ausbildung. So ist die Arbeitslosenquote unter Nichtqualifizierten seit den 90er-Jahren stärker gestiegen als unter Personen mit Ausbildungsabschluss. Geringqualifizierte Arbeitslose geraten zudem immer mehr unter Druck, wenn sie mit ausgebildeten Bewerbern um Billigjobs konkurrieren. „Der Konkurrenzdruck nimmt im Bereich der Geringqualifizierten zu“, sagt Jaehrling. Gewerkschaftsforscher sprechen vom neuen „Dienstleistungsproletariat“.

Keineswegs aber werden alle schlecht bezahlten Tätigkeiten von Nichtqualifizierten ausgeübt. Weniger als 9,80 Euro brutto die Stunde verdienen in Deutschland fast ein Fünftel der Vollzeitbeschäftigten, rund 3,6 Millionen Leute, heißt es im IAB-Forschungsbericht zur „Niedriglohnbeschäftigung in Deutschland“.

Ganz oben auf der Liste der Berufe mit hohem Niedriglohnrisiko stehen die FriseurInnen, gefolgt von den FloristInnen, dann kommen KellnerInnen, WäscherInnen und Putzpersonal – Berufe also, in denen überwiegend Frauen arbeiten.

Dass es aber auch für Männer enger wird im Dienstleistungsproletariat, zeigt die Auflistung jener Berufe, in denen das Niedriglohnrisiko überproportional gestiegen ist. Dort stehen Autowäscher und -pfleger sowie Wächter inzwischen ganz oben.

BARBARA DRIBBUSCH