Unternehmen nutzen die schwachen Gesetze

Beschäftigte können ihre Rechte oft nicht durchsetzen. Professor John Ruggie arbeitet an einer UN-Vereinbarung

BERLIN taz ■ Aloys Wobben ist ein erfindungsreicher Mensch. Bekannt wurde der Konstrukteur aus Aurich, weil er konkurrenzfähige Windkraftwerke entwickelte. Kreativität zeigt der Inhaber von Enercon, einer der großen Windfirmen Deutschlands, aber auch auf einem anderen Gebiet. Mit viel Fantasie versucht er zu verhindern, dass seine Beschäftigten der Gewerkschaft beitreten oder Betriebsräte gründen.

Die Enercon-Niederlassung in der türkischen Stadt Izmir habe zu diesem Zweck gerade einen neuen Trick angewandt, informiert die dortige Metallgewerkschaft Birlesik Metal-Is. Die Fertigung von Windkraftanlagen gehöre nicht zum Maschinenbau, sondern sei Chemieindustrie, habe die Enercon-Geschäftsführung den Behörden mitgeteilt. Die Folge: Die Gewerkschaft, die die Beschäftigten in Izmir organisiert, kann keine Tarifverhandlungen führen. Für Aloys Wobben eine gute, billige Lösung. Einen Kommentar dazu gibt die Firma nicht ab. Im globalen Kapitalismus kommen solche Fälle häufig vor. Es herrscht eine paradoxe Situation. Einerseits haben fast alle Staaten der Erde die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 angenommen. Darin enthalten ist auch das Recht der Arbeitnehmer, unabhängigen Gewerkschaften beizutreten und gemeinsam über ihren Lohn und die Arbeitsbedingungen zu verhandeln. In der Praxis allerdings lässt sich dieses Recht oft nicht durchsetzen. Die Türkei ist da nur ein kleines Beispiel. Alle deutschen Unternehmen in China etwa profitieren von dem dortigen Verbot freier Gewerkschaften. Trotz wohlklingender Abkommen arbeitet die Weltwirtschaft oft im rechtsfreien Raum.

Vor allem John G. Ruggie soll das nun ändern. Der Harvard-Professor für Internationale Politik ist ein enger Mitarbeiter des Exgeneralsekretärs der Vereinten Nationen, Kofi Annan. Dieser hat Ruggie beauftragt, eine schlichte Frage zu beantworten: „Wie kann man das internationale Recht wirksamer machen?“

„So nicht“, hat Ruggie erst einmal geantwortet. Er meint damit die „Normen der Vereinten Nationen für die Verantwortlichkeiten transnationaler Unternehmen im Hinblick auf die Menschenrechte“. Die UN-Kommission für Menschenrechte hatte 2003 eine umfassende Regelung formuliert, die den Unternehmen zum Beispiel die Zahlung von Schadensersatz androht, wenn sie Gewerkschaften behindern.

Ruggie bezeichnet die Normen als „doktrinär“. „Leider scheint mir die juristische Basis, auf der die Normen stehen, sehr schwach zu sein“, sagte er der taz. „Das Wirtschaftsvölkerrecht ist noch nicht so weit entwickelt“, dass die UN-Normen den beabsichtigten umfassenden Schutz für Beschäftigte garantieren könnten, so Ruggie. „Internationales Recht entsteht zum Beispiel dadurch, dass Regierungen Verträge miteinander schließen. Ein internationaler Vertrag über schärfere Normen für Unternehmen existiert aber nicht“, sagt Ruggie. Und er fragt: „Welche Institutionen sollen solche harten Gesetze gegenüber Unternehmen überhaupt durchsetzen? Manche Regierung eines Entwicklungslandes hat noch nicht einmal die Fähigkeit, Steuern zu erheben.“

Nur an einem Punkt könnten neue weltweite Normen für Unternehmen sinnvoll sein, erklärt der Harvard-Professor. „Bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord hat sich mittlerweile eine juristische Basis entwickelt, die auch von den meisten Nationalstaaten akzeptiert wird.“

Wegen derartiger Äußerungen sehen Bürgerrechtsorganisationen Ruggies nächstem Zwischenbericht, den sie für die erste Jahreshälfte 2007 erwarten, mit Nervosität entgegen. Elisabeth Strohscheidt, Referentin für Menschenrechte der katholischen Hilfsorganisation Misereor, sagt: „Wenn John Ruggie nur das bestehende Rechtssystem beschreibt, geht er nicht weit genug.“ Beschäftigte von Unternehmen müssten bessere Möglichkeiten erhalten, ihr Recht auch tatsächlich durchzusetzen, so Strohscheidt.

Die Fortentwicklung des internationalen Wirtschaftsrechts ist ein ganz dickes Brett. Das müssen auch die Beschäftigten von Enercon immer wieder feststellen. In der Türkei wurden 70 von 420 Arbeitern 2006 entlassen – weil sie in die Gewerkschaft eingetreten waren, sagt die türkische Metallarbeiter-Organisation Birlesik Metal-Is. Nun klagen die Betroffenen gegen Enercon in der Türkei. Aber der dortige Rechtsweg ist langwierig und kompliziert. Gäbe es stattdessen ein internationales Wirtschaftsgesetz wie die UN-Normen, könnten die türkischen Arbeiter auch vor internationalen Gerichten klagen. Ein Horror für manchen Konzernmanager. Auch deshalb werden entsprechende Regelungen wohl länger auf sich warten lassen. HANNES KOCH