„Nicht mit der Abrissbirne“

Berlin kann Vorbild für Deutschland werden, sagt PDS-Landeschef Lederer. Öffentlich geförderte Jobs, mehr Ganztagskitas und soziale Erleichterungen für Arme sollen die Hauptstadt lebenswert halten

INTERVIEW MATTHIAS LOHRE

taz: Herr Lederer, Sie rauchen gerade. Wollten Sie nicht aufhören?

Klaus Lederer: Nach einer schlaflosen Nacht ist mein erster Versuch gescheitert. Aber ich gebe es nicht auf. Erst mal habe ich aber einfach zu viel zu tun.

Natürlich …

Wirklich. Nächste Woche fliege ich zum Weltsozialforum nach Kenia. Dort geht es auch um etwas für Berlin sehr Interessantes: die Folgen der Wasserprivatisierung. Wenn ich zurückkomme, höre ich auf.

Aber auch 2007 birgt Ihr Job als Linkspartei-Chef jede Menge Stress. Angefangen bei den Folgen der gescheiterten Haushaltsklage.

Klar. Fünf Jahre lang haben wir unserer Klientel gesagt: Wir müssen sparen, auch um unsere Chancen auf Entschuldungshilfen zu erhöhen. Dann hat uns das Karlsruhe-Urteil erschlagen. Allein können wir den Schuldenberg nicht abtragen – zumindest nicht, ohne mit der Abrissbirne durch die Stadt zu gehen. Jetzt müssen wir Antworten auf die Frage finden: Wie kann Berlin seine Chancen und Fähigkeiten am besten nutzen? Wir wollen eine breite Debatte darüber führen, wie wir die Ausstrahlung Berlins als lebenswerte Stadt verbessern können, statt wie die Grünen über weitere Kürzungen im Sozialbereich zu reden.

Unverhofft erhält Berlin derzeit neue Chancen: Mehrwertsteuererhöhung und Wirtschaftsaufschwung bringen 2007 mehr Geld als geplant.

Wir dürfen deshalb nicht in die alte Berliner Parteien-Mentalität zurückfallen: Erst mal die jeweils eigene Klientel bedienen und dabei die Zukunft der Stadt vergessen. Für Bildung wollen wir mehr Geld ausgeben, beispielsweise für das längere gemeinsame Lernen.

Also die so genannten Gemeinschaftsschulen bis zur zehnten beziehungsweise zwölften Klasse.

Genau. Außerdem wollen wir allen Kindern eine ganztägige Betreuung in den Kindertagesstätten ermöglichen, und nicht nur Kindern von Berufstätigen. Beim Sozialpass ist es ähnlich: Wir wollen den Kreis der Berechtigten erweitern, um den Ärmsten, also auch Senioren mit geringer Rente, die soziale Teilhabe zu erleichtern. Bei beiden Themen streiten wir uns noch mit der SPD.

D’accord mit dem Koalitionspartner gehen Sie bei der geplanten Einführung von 2.500 öffentlich geförderten, sozialversicherungspflichtigen Jobs. Das Dumme ist nur: Für deren Umsetzung braucht Rot-Rot eine Mehrheit im Bundesrat. Platzt Ihr Vorzeigeprojekt?

Das Modellprojekt bekommen wir aus eigener Kraft hin. Die Crux bei der Ausweitung ist: Wir wollen für die neuen Jobs Transfergelder bündeln und aufstocken, die bislang nicht zusammengefasst werden dürfen. Zudem geht das bisher nur für ein Jahr. Außerdem wollen wir längere Laufzeiten als nur ein Jahr. Sonst haben wir letztlich keinen neuen Beschäftigungssektor, sondern nur die alten, nutzlosen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen.

Für diesen Plan will das kleine rot-rote Berlin die große schwarze Bundesratsmehrheit gewinnen?

Der Problemdruck ist sehr hoch, gerade bei den Langzeitarbeitslosen. Langsam zerplatzt der Traum von der Vollbeschäftigung. Diese Arbeitsmarktdebatte wird längst bundesweit geführt – erstaunlicherweise am wenigsten in der SPD. Wir in Berlin können dabei Impulsgeber sein.

Auch Ihre Partei wollen Sie kräftig umbauen. Wie wollen Sie junge Leute in die überalterte PDS locken?

Die Sorge, dass uns die Basis wegstirbt, habe ich nicht mehr. Mir geht es um etwas anderes. Eine Neugenossin sagte mir vor kurzem: „Ich will nicht Mitglied einer Gemeinde sein, sondern eines Netzwerks.“ Das ist es.

Bislang hat diese Botschaft allerdings noch keine neuen Wählerschichten erreicht: Im Westen ist die PDS eine Splitterpartei, im Osten will jetzt sogar die CDU wertkonservative Bürger locken. Wie wollen Sie den Stimmenschwund stoppen?

Die Präsenz im Westen gehört zu unseren größten Problemen. Das ist mühevolle Kleinarbeit. Bis heute ist unsere Partei kulturell im Osten verankert, und das lässt sich nur peu à peu ändern. Die Fusion von Linkspartei und WASG auf Bundesebene in diesem Jahr kann unser Image im Westen verbessern. Falls es dabei viel Streit gibt, kann es aber auch nach hinten losgehen.

Apropos nach hinten losgehen: Wer hat eigentlich bei der Wiederwahl von Klaus Wowereit im Abgeordnetenhaus gebockt? Ein Linkspartei-Abgeordneter?

Diese Frage höre ich so oft. Unsere Fraktionsmitglieder haben mir gesagt, dass sie nicht im zweiten Wahlgang gegen Wowereit gestimmt haben. Bei der SPD war es genauso. Langes Suchen halte ich für müßig: Wir bekämen es nicht raus. Sinnlose Verdächtigungen würden höchstens die Stimmung in der Koalition vergiften.

Kann denn die rot-rote Koalition angesichts dieses Fehlstarts überhaupt fünf Jahre lang regieren?

Knappe Mehrheiten sind halt knapp. Alle rot-roten Abgeordneten wissen: Mein Mandat ist nicht mein Privateigentum, mich haben Wähler einer Parlamentspartei mit einem bestimmten Auftrag versehen. Gewissensfragen, bei denen es kritisch werden könnte, gibt es im Parlamentsalltag nur alle Jubeljahre.

Da müssen Sie aber entspannt sein. Wie viele Zigaretten rauchen Sie denn derzeit pro Tag?

Zwanzig bis vierzig Selbstgedrehte. Ökologisch hochwertig, weil ohne Zusatzstoffe.

Und Sie wollen bald Nichtraucher sein?

Der erste Schritt ist getan. Die Selbstgedrehten sind mit Filter.