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: Die Kamera ist Auge, Ohr, Zeugin – und Sterbebegleiterin

Von einem, der Hilfe braucht und nicht bekommt, erzählt der rumänische Regisseur Cristi Puiu in „The Death of Mr. Lazarescu“

Dante Remus Lazarescu (Ion Fiscuteanu), ein alleinstehender Mann von 62 Jahren, fühlt sich krank. Er hat Kopfschmerzen, er übergibt sich. Er ruft eine Ambulanz, aber die Ambulanz kommt nicht. Er bittet seine Nachbarn, ihm zu helfen. Sie tun es, im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Als jedoch nach langer Zeit des Wartens, auch nach langer Filmzeit, einer dreiviertel Stunde etwa, die Ambulanz eintrifft, werden die Grenzen der Nächstenliebe deutlich. Herr Lazarescu, findet die Nachbarin, hat einen schlechten Einfluss auf ihren Mann. Denn Herr Lazarescu, dessen Leben einem nach den wenigen Einblicken, die man bekommen hat, recht freudlos und traurig vorkommt, trinkt. So muss der Mann, der in seinen Vornamen die halbe abendländische Geistesgeschichte auf den Schultern trägt, allein auf seine Odyssee durch die Nacht, auf seinen Leidensweg durch die Krankenhäuser der Stadt. Und wer hier eintritt, kann, das zeigt sich bald, alle Hoffnung fahren lassen.

Eine Helferin von der Ambulanz begleitet ihn. Sie spricht mit ihm, sie bemüht sich, ihm in den Krankenhäusern, die wegen eines Busunfalls alle ausgelastet sind, die ihm zustehende Versorgung zukommen zu lassen. Die Ärzte, an die er gerät, sehen ihn sich an und schicken ihn ins nächste Krankenhaus. Herr Lazarescu wird untersucht, er bekommt eine Tomografie, die Diagnose lautet auf Hämatom im Hirn, wohl durch einen Tumor ausgelöst. Er weigert sich, schon halb weggetreten, die Einwilligung zur Operation zu unterschreiben. Zurück in die Ambulanz, auf ins nächste Krankenhaus. Manche der Ärzte sind zynisch, andere gar nicht. Herr Lazarescu tritt, sterbend, in ihr Leben, aber viel Aufmerksamkeit bekommt er nicht. Die Würde des Patienten kommt unter die Räder, nicht weil die Ärzte unmenschlich wären, sondern weil der Krankenhausbetrieb so ist, wie er ist.

Einen einzigen wirklichen Sterbebegleiter auf der Höllenfahrt des Dante Remus Lazarescu gibt es: Es ist die Kamera. Sie folgt ihm, sie bleibt bei ihm, sie zeigt, was ihm widerfährt. Sie ist als Handkamera in langen, unruhigen Plansequenzen immerzu in Bewegung, aber sie macht keine Sperenzchen. Die Kamera ist Auge, Ohr, ist Zeugin. Es geht ihr einzig ums Dabeisein. Sie klagt nicht an, sie gibt sich dokumentarisch. Sie beobachtet die Ärztinnen und Ärzte, die andere Sorgen haben als den alten Mann, der trinkt. Sie bewegt sich durch die Krankenhausgänge, durch die man Herrn Lazarescu schiebt. Sie vertritt, nicht zuletzt, als passive Zeugin, den Betrachter, der hilflos mit ansehen muss, wie einem nicht geholfen wird, der Hilfe braucht.

„The Death of Mr. Lazarescu“ ist ein Film über die Liebe. Cristi Puiu hatte nicht viel Erfahrung als Regisseur, er hatte sehr wenig Geld, also hat er, das erklärt er im DVD-Interview, einen ehrgeizigen Plan entwickelt. Sechs Filme über die Liebe in ihren unterschiedlichen Spielarten. Dies ist der erste, ein Film über die Nächstenliebe. Er wurde unversehens zu einem großen Festivalerfolg, es gibt kaum eine Kritikerbestenliste 2006, auf der er fehlt. Das Erstaunlichste an dem Film ist, wie das, was man sieht, zwar verallgemeinerbar, zunächst einmal aber ganz und gar konkret ist. In den Kritiken wird immer wieder auf den großen amerikanischen Dokumentaristen Frederic Wiseman verwiesen, dem es gelingt, die unkommentierte Beobachtung mit der Kamera in die Analyse von Institutionen zu transformieren. Zwar ist „The Death of Mr. Lazarescu“ keine Dokumentation, es liegt vielmehr ein detailliert ausgearbeitetes Drehbuch zugrunde, aber genau dieser Übergang gelingt auch hier.

Indem der Film, wie ungerührt, über zweieinhalb Stunden hinweg das Schicksal eines sterbenden Mannes zeigt, führt er vor, wie es da läuft, wo die Routine übers Mitgefühl siegt. Alles Moralisieren liegt dem Film dabei fern, ja, gelegentlich bricht sogar eine absurde Komik durch, die vor Scherzen über die bedeutungsschweren Vornamen Lazarescus nicht Halt macht. Der sterbende Herr Lazarescu wird nicht einmal als sonderlich sympathische Person geschildert. Er ist einfach nur ein Mensch, der Hilfe braucht und nicht bekommt. Die schlichte Wahrheit und das schlichte Pathos dieses Satzes durchdringen den Film – aber so, dass sich alles Pathos auflöst in die schiere Zeugenschaft der Kamera. EKKEHARD KNÖRER

Die in England erschienene DVD ist als Import bei www.amazon.de ab 22 Euro erhältlich