Die Unruhe vor dem Sturm

Beängstigend leere Straßen und Schulen, die Schüler vorzeitig nach Hause schicken: Schon Stunden vor dem Sturm herrscht in der Stadt eine Art Ausnahmezustand

Schon Stunden vor dem großen Sturm machte sich gestern in der Stadt eine Art Ausnahmezustand breit. Eltern wurden aufgefordert, ihre Kinder frühzeitig aus den Kitas abzuholen, Schulen schlossen lange vor dem Ende des regulären Unterrichts. Am späten Nachmittag leerten sich Straßen und öffentliche Verkehrsmittel zusehends, weil die Menschen während des Orkans lieber zu Hause sein wollten.

Große Flaute vor dem Sturm herrschte auf dem Neuköllner Herrmannplatz. An normalen Markttagen stehen hier rund 20 Stände, gestern waren es nur zwei. Grund: Der Budenverleiher hat als Vorsichtsmaßnahme keine Stände zur Verfügung gestellt. Auch die beiden noch geöffneten Stände – einer für Gemüse und einer für Imbiss – schlossen schon um 14 Uhr, deutlich früher als sonst. „Länger zu bleiben ist mir zu riskant“, sagt Judith Opitz, Betreiberin des Gemüsestands. „Ich muss ja noch 120 Kilometer nach Hause in den Spreewald fahren.“ Gelassen zeigte sich hingegen ein Gemüsehändler am Kottbusser Damm. Er werde sein Gemüse nicht vorzeitig einräumen, versicherte er.

Für SchülerInnen bedeutete die Orkanwarnung häufig schulfrei. SchulleiterInnen entscheiden „in eigener Verantwortung“, ob sie die SchülerInnen und Schüler ihrer Schule „aufgrund der bestehenden Wetterlage“ bereits am Mittag nach Hause schicken – so informierte die Schulverwaltung gestern Vormittag ihre Schulen. Die Betreuung und Beaufsichtigung der Kinder müsse „in enger Abstimmung mit den Eltern ununterbrochen gewährleistet sein“, hieß es in dem per E-Mail an alle Schulen geschickten Schreiben weiter. Wie viele Schulen den Unterricht früher beendeten, wusste die Schulverwaltung nicht – Meldung musste schließlich keine machen. Dem Verkehr und der zunehmenden Aufregung unter Eltern gestern um die Mittagszeit zufolge dürfte es die Mehrzahl gewesen sein.

Den Schultag nicht wie üblich um 16 Uhr, sondern schon am Mittag zu beenden – dazu hatte sich auch die Aziz-Nesin-Grundschule in Kreuzberg entschlossen. Schon bei den letzten Stürmen hatten Windstöße das Dach des einst als Provisorium gedachten pavillonähnlichen Schulgebäudes beschädigt. Telefonisch und per SMS wurden die Eltern gestern im Laufe des Vormittags darum gebeten, ihre Kinder um 13 Uhr statt wie üblich um 16 Uhr aus der Ganztagsgrundschule abzuholen.

Angst oder gar Panik wegen des angekündigten Unwetters war bei den abholenden Eltern nicht zu spüren. Die Gespräche drehten sich um die Sicherung von Blumenkästen auf Balkons oder die Benutzbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel während des Sturms. Bei den Kindern überwog die Freude über den unerwarteten freien Nachmittag. Doch, ein bisschen Angst vor dem Sturm hätten sie schon, erzählten die Viertklässlerinnen Shirin und Gamze: „Aber nur, wenn es schlimm wird!“

Gelassenheit demonstrierten auch Gerüstbaufirmen – immerhin eine besonders windanfällige Branche. „Man sollte immer Gerüste bauen, die einen nachts beruhigt schlafen lassen“, so ein Angestellter. Wichtig sei es, die Baustellen auf lose Teile hin zu überprüfen und diese festzumachen. Kritisch seien Gerüste, die mit Planen eingeschlossen sind. Sie seien so zu schließen, dass sich darin kein Wind fangen kann. „Bereitschaftsdienste haben wir immer. Alles andere ist Gottvertrauen.“ Die Mitarbeiterin eines anderen Unternehmens erklärte, dass zusätzliche Sicherungen einen Arbeitstag beanspruchen: „Sechs Leute sind bei uns damit beschäftigt.“

Schnell reagierte das Jugendfreizeitzentrum FEZ in der Wuhlheide auf die Unwetterwarnungen: Es schloss um 14 Uhr. Das FEZ befindet sich in einem Waldgebiet. ALL, GD, ROT, TIW