Bewusste Weigerung

VON CHRISTIAN RATH

Was für ein perfider Plan. Murat Kurnaz sollte die deutsche Aufenthaltsgenehmigung entzogen werden, weil er länger als sechs Monate im Ausland – im Lager Guantánamo! – weilte. Diese später von der Bremer Ausländerbehörde vollstreckte Strategie wurde zunächst im Bundesinnenministerium (BMI) ersonnen. Dies geht aus einem der taz vorliegenden vierseitigen Papier hervor, das am 30. Oktober 2002 für Innenstaatssekretär Claus Henning Schapper (SPD) erstellt wurde.

Am Tag zuvor hatten im Kanzleramt die Chefs der deutschen Sicherheitsbehörden über ein Angebot der Amerikaner diskutiert. Diese wollten den in Bremen aufgewachsenen Türken freilassen, weil er entgegen ersten Vermutungen nichts mit Terroristen zu tun hatte. Eigentlich ein Grund zur Freude, doch August Hanning, damals Chef des Bundesnachrichtendienst, heute Staatssekretär im Innenministerium, plädierte dafür, eine Einreisesperre gegen Kurnaz zu verhängen. Dieser sollte lieber in die Türkei gebracht werden. Kanzleramt und Innenministerium stimmten zu. An dieser Hartherzigkeit scheiterte dann zum Unverständnis der Amerikaner die Freilassung Kurnaz’. Dieser musste bis Oktober 2006 in Guantánamo weiterleiden.

Damit haben die deutschen Beamten damals wohl nicht gerechnet. Ihre Sorge galt eher dem Szenario, dass Kurnaz von der Türkei aus wieder in seine Heimatstadt Bremen zurückkommen will. Immerhin war er hier aufgewachsen, hatte eine Schiffbauerlehre absolviert und bis zu seiner Pakistanreise noch bei seinen Eltern gelebt. Und er hatte eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung. Diesen Zustand wollten die BMI-Beamten mit ihrem Plan beenden.

Die Bremer Ausländerbehörde sollte das Erlöschen der Aufenthaltsgenehmigung feststellen. Notfalls sollte sie per Einzelweisung dazu gezwungen werden. Ein „bisher einmaliger Vorgang“, heißt es in dem Papier. Ein anderer Beamter schrieb von Hand an den Rand: „Na und!“ Der Verfassungsschutz sollte bei den Amerikanern den türkischen Pass Kurnaz’ besorgen, um die Aufenthaltsgenehmigung „physikalisch ungültig“ zu machen.

Die Beamten hatten sogar überlegt, wie sie mit Protesten der Medien umgehen wollten. Im Rahmen einer „Immunisierungsstrategie“ sollte Kurnaz’ Anwalt Bernhard Docke verantwortlich gemacht werden, er habe versäumt, einen Verlängerungsantrag zu stellen. Dazu kam es aber nicht. Das Verwaltungsgericht Bremen entschied 2005, dass Kurnaz sein Aufenthaltsrecht nicht verloren hat.

Innen- und Außenministerium wollten sich gestern zu dem Papier nicht äußern, sondern erst im BND-Untersuchungsausschuss Stellung nehmen. Ausschuss-Mitglied Max Stadler (FDP) kann das nicht verstehen. „Bei dieser Brisanz ist sofort eine Erklärung nötig.“

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) ist zudem unter Druck, weil er nach Informationen der SZ als Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt bis zum Regierungswechsel 2005 gegen eine Wiedereinreise Kurnaz’ gearbeitet habe.