In der Sackgasse des „Weiter so“

Rund 2.000 Denkfabriken gibt es in Washington, nirgendwo weiß man über die Welt genauer Bescheid als hier. Doch George W. Bush ist erstaunlich beratungsresistent. Nicht einmal auf die Neokonservativen, seine alten Stichwortgeber, hört er noch

Bush wird von der Angst getrieben, Bagdad wie Saigon verlassen zu müssenBush bleibt stur. Den Schutt und die Leichen soll sein Nachfolger im Amt beseitigen

VON ADRIENNE WOLTERSDORF

Willy Loman ist sein ganzes Leben lang durchs Land gefahren und hat seine Ware an den Mann gebracht. Jetzt, mit 60, ist er ein ergrauter, müder Handelsvertreter. Das Geschäft läuft schlecht, doch an den American Dream glaubt er fest. „Egal wo du herkommst, um ein glückliches Dasein zu führen, zählen einzig und allein dein Wille und Engagement“, sagt er immer wieder. Hauptsache, du bleibst dir selbst treu, dann werden dich die anderen dafür schon bewundern. In dem Stück „Death of a Salesman“, das Arthur Miller 1949 schrieb, weigert sich Willy Loman – trotz des drohenden Endes – von seinen einmal erlangten Überzeugungen zu lassen. Er tut vielmehr alles, um den äußeren Schein zu wahren.

Nicht von ungefähr tauchen in diesen Tagen George W. Bush und der literarische Antiheld Loman des Öfteren gemeinsam in einem Satz auf. Auch der US-Präsident hat es bislang immer wieder geschafft, seiner Nation Produkte anzudrehen, die diese nicht braucht, die nutzlos und sogar gefährlich sind. Das hat, außer dem Verkäufer, längst auch die Mehrheit seiner Klientel verstanden. Halsstarrig und hoffnungslos fehlgeleitet verkündete Bush kürzlich unter dem Motto „Der neue Weg vorwärts“ seine lange erwartete neue Irakstrategie. Der Inhalt? Ein paar Soldaten mehr, und sonst: weiter im alten Stil. Die Botschaft: Der US-Präsident ist entschlossen, die Illusion eins irgendwie gearteten Erfolges im Irak noch eine Weile aufrechtzuerhalten.

Einige Tage nach der Bush-Rede besuchte zufällig Shirin Ebadi New York, die iranische Rechtsanwältin und Friedensnobel-Preisträgerin. Sie stellte allen, die sie dort traf, die gleiche schlichte Frage: „Warum ist die USA, trotz all ihrer Erfolge in den Wissenschaften, so kurzsichtig, wenn es zur Außenpolitik kommt? Die Antworten, die Ebadi bekommen hat, sind der Öffentlichkeit nicht bekannt. Die gleiche Frage haben sich jedoch seit der enttäuschenden Irakkriegsrede des Präsidenten fast alle US-Kolumnisten und Medien-Intellektuellen gestellt. Warum hört George Bush nicht zu? Warum macht er weiter mit der falschen, menschenverachtenden, blöden Politik? Warum versucht er es statt mit dem erschöpften Militär nicht endlich mal mit Diplomatie?

Für Bush, so scheint es, zählt in Wahrheit nur eines: Sieger sein. Das ist sein amerikanischer Traum. Bis zum endgültigen Scheitern gilt es vorerst den äußeren Schein zu wahren. Rhetorisch hat Bush seinen seit 2003 propagierten „Sieg“ zwar zurechtgestutzt. Die Rede ist jetzt von „dem Erfolg näher kommen“. Doch im Grunde ist sein Lösungsvorschlag, wie die USA aus dem Debakel im Zweistromland herauskommen und den Irak stabilisieren könnten, nur das „Weiter so“ einer unangemessenen Strategie, die die Gewalt in Bagdad nicht einmal ansatzweise einzudämmen vermag.

Das Denken in ausschließlich militärischen Optionen wird zum einen durch die Macht der Möglichkeit gefördert. Die Vereinigten Staaten verfügen über ein 1,3 Millionen Mann starkes, hochgerüstetes Militär und über ein historisch ungetrübtes Verhältnis zu ihren Bürgern in Uniform. In den USA gehört das Militär zum selbstverständlichen Instrumentarium der Außenpolitik. Getreu dem Satz von Clausewitz, der zum unbedingten Repertoire jedes US-Strategen gehört: „Der Krieg ist also ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen“ („Vom Kriege“, Buch I, Kapitel 1).

Dieses Grundverständnis des Instruments „bewaffneter Kampf“ diente bereits der jüngeren US-Angriffspolitik wie im Beispiel Grenada und Panama als Grundlage. Ganz zu schweigen von den US-amerikanischen Aktionen der Achtzigerjahre in Afghanistan und Nicaragua sowie dem Säbelrasseln im Kreise der Vereinten Nationen in Somalia. Es überrascht daher nicht wirklich, dass die neue Politikformel Washingtons hinsichtlich des Iran ebenso lautet: Alle Optionen liegen auf dem Tisch. Auch die militärische.

Zum anderen wird das Weiße Haus von einer tief sitzenden Angst getrieben – der Aussicht, die Grüne Zone in Bagdad vor laufenden TV-Kameras wie das vietnamesische Saigon 1973 verlassen zu müssen. Mit Hubschraubern vom Dach der US-Botschaft flüchten zu müssen und das Land dem Chaos und den feindlichen Einflüssen zu überlassen. George Bush, der sich schon länger Gedanken um seinen Platz in der Geschichte macht, will um keinen Preis den Eindruck erwecken, der Krieg sei verloren. Mit seiner „Mehr vom Gleichen“-Strategie hat er sich zunächst Zeit verschafft. Ein Jahr, vielleicht anderthalb Jahre, in denen er davon sprechen kann, dass der Erfolg immer näher rückt.

Der 43. US-Präsident ist längst ein einsamer Mann. Bald lässt sich an einer Hand abzählen, wer außer der First Lady Laura, Hund Barney und den beiden Senatoren Joe Liebermann (parteilos) und John McCain (Republikaner) eigentlich noch seinen Kurs verteidigen möchte. Diejenigen, die ihm diesen Krieg nach den Anschlägen des 11. September 2001 mit Verve eingeredet haben, die Neocons, sind ebenso auf Distanz zu ihm gegangen wie die Falken im Kongress.

Umso erstaunlicher ist, dass Bush bei der Gestaltung seiner neuen Irakinitiative ein weiteres Mal ausgerechnet einigen Neokonservativen sein Ohr geliehen hat: William Kristol von der Neocon-Hauszeitung The Weekly Standard und Frederick Kagan vom erzkonservativen Thinktank American Enterprise Institute. Kristol und Kagan, die der New-York-Times-Kolumnist Frank Rich „neocon deadenders“ nennt, also Neocon-Sackgassen-Gestalten, propagieren gemeinsam mit dem pensionierten General Jack Keane eine Truppenaufstockung.

Man muss sich nicht fragen, ob es denn unter den rund 2.000 Denkfabriken der US-Hauptstadt nicht eine gibt, die Bush dabei beraten kann, wie mit Syrien oder dem Iran ins Gespräch zu kommen sei. Bush will nichts hören, an seiner Türschwelle sind schon ganz andere gescheitert: Sein Generalstab, die hochdekorierten Mitglieder der Baker-Hamilton-Kommission und vor allen die US-amerikanischen WählerInnen, die am 7. November den Republikanern einen Denkzettel verpasst haben. Auch der irakische Premier Nuri al-Maliki bat Washington sechs Wochen vor der Bush-Rede inständig um eine Truppenreduzierung. Aber Bush hört nicht zu.

Gefragt, wie die Kommunikation mit dem Weißen Haus in der jüngeren Vergangenheit lief, lehnen die Vertreter der Denkfabriken an der Massachusetts Avenue, darunter Brookings, Cato, Heritage, ab, etwas zu sagen. Ihr Geschäft mit dem Weißen Haus läuft schlecht.

Auch Richard Perle, der profilierteste neokonservative Bush-Berater, und David Frum, der Redenschreiber, der den Irak neben dem Iran und Nordkorea auf der „Achse des Bösen“ ansiedelte, sind längst frustriert. Weil George W. Bush nämlich die Politik, die sie ihm verkauft haben, nicht einmal vernünftig ausführt. Mit dem Magazin Vanity Fair sprachen Perle und Frum über ihre Enttäuschung hinsichtlich der „Inkompetenz“ des Hauptquartiers – so als ob der Irak heute auf dem Weg der Demokratie wäre, wenn das Weiße Haus nach der Einnahme von Bagdad nur alles nach Neocon-Rezept zubereitet hätte. Dass Bush zwar siegen will, aber nicht bereit ist, für eine wirkliche Lösung im Irak Opfer zu bringen, dürfte aber auch Kagan und General Keane dämmern.

Keine zwei Wochen vor Bushs Rede hatte das Duo in einem Gastkommentar in der Washington Post erklärt, dass eine Truppenaufstockung nur Erfolg haben könnte, wenn sie „mindestens 30.000 Soldaten“ zusätzlich zu den gegenwärtig 135.000 betrage. Noch Anfang Dezember hatten beide im Weekly Standard von plus 50.000 bis 80.000 zusätzlichen Soldaten gesprochen. Dass die USA im Irak nur mit viel Personal erfolgreich sein können, dieses Wissen ist schon etwas älter. Bereits eine Geheimstudie des Pentagons aus dem Jahr 1999, die erst kürzlich freigegeben wurde, warnte, dass nicht einmal 400.000 Soldaten ausreichend seien, um das Land nach einem Sturz Saddams stabilisieren zu können.

Bush bleibt stur, allen Studien und Ratschläge zum Trotz. Obwohl er den Krieg im Irak zur entscheidenden Schlacht im Kampf gegen den globalen Terrorismus erklärt hat, ist er nicht bereit, diesen Kampf auch mit allen gebotenen Mitteln zu Ende zu führen. Den Schutt und die Leichen soll sein Nachfolger im Amt beseitigen. Kurz nach seiner Strategierede rief eine Gruppe Abgeordneter beider Parteien im Weißen Haus an, um mit Bush über einige Punkte zu sprechen. Der Präsident habe „kein Interesse an einem Meinungsaustausch“, bekamen sie zu hören. Ob es ihn bedrücke, dass er im Augenblick sehr unpopulär sei, fragte ein PBS-TV-Interviewer einige Tage später. „Nein, kein bisschen“, antwortete Bush und lachte.

Der Sohn des 41. US-Präsidenten, der nach eigenen Angaben in seiner Privatlektüre immer noch bei Präsident Nr. 1, George Washington, ist, vergleicht sich selbst gelegentlich gerne mit Harry Truman. Der sei zu Amtsende ein unpopulärer Präsident gewesen, dem die Geschichte später applaudiert habe, sagt Bush junior dann. Ein Vergleich, der erstaunt. Hat doch Truman mit seiner Doktrin, umrahmt vom Marshall-Plan und der Nato, die zentrale US-Strategie des Kalten Krieges vorgegeben. „Was ist Bushs Strategie?“, fragt hingegen Robert Dallek, ein auf US-Präsidenten spezialisierter Historiker. „Was hinterlässt Bush uns als großen Entwurf, um den Herausforderungen des 21. Jahunderts, Terrorismus und Islamismus, zu begegnen?“