„Eine späte Genugtuung“

Im Kreuzberger Rathaus und im tazcafé wird die Ablehnung des CDU-Begehrens gefeiert. Grüne fordern Springer auf, die Klage gegen Umbenennung zurückzuziehen

Es hat schon was von Routine – obwohl die Abstimmung über die Umbenennung der Kochstraße der erste Bürgerentscheid in Friedrichshain-Kreuzberg war. In aller Ruhe zählen die Mitarbeiter des Bezirkswahlamts die 87 Wahlkreise und die Briefwähler aus. Bereits um 18.10 Uhr werden im Rathaus Kreuzberg erste Ergebnisse verkündet – vor anfangs nur einer Handvoll Bürgern und Journalisten. Gegen 19 Uhr füllen sich die Reihen. Auch die Antipoden Franz Schulz, der grüne Bezirksbürgermeister, und CDU-Bezirkschef Kurt Wansner, Mitinitiator des Entscheids, kommen. Als um 19.51 Uhr das Endergebnis verkündet wird, brandet Jubel auf – auch hier ist eine Mehrheit für die Dutschkestraße.

Dirk Behrendt ist zufrieden. „Das Bürgerbegehren hat sich als demokratisches Mittel bewährt“, sagt der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Abgeordnetenhaus. Für seine Partei sei das Ergebnis auch ein Zeichen für die breite Unterstützung der Politik der Grünen. „Natürlich ist es auch eine späte Genugtuung für Rudi Dutschke.“

„Wir sind sehr froh über das Ergebnis“, sagt Steffen Zillich, Bezirkschef der PDS von Friedrichshain-Kreuzberg. Er fügt hinzu: „Die CDU sollte sich überlegen, ob sie mit dem Mittel des Volksbegehrens bei dieser Frage einen Fehlgriff gelandet hat.“

Erstaunlich entspannt verfolgen die gut 100 Gäste im tazcafé den Abend. Peter Unfried, stellvertretender taz-Chefredakteur, verkündet alle zehn Minuten die Zwischenergebnisse. Vereinzelte, eher pflichtbewusst wirkende Buhrufe begleiteten seine Nennungen der Jastimmen, die mit dem Antrag der CDU für den Erhalt der Kochstraße waren. Doch ein Ergebnis pro Dutschke zeichnet sich von Anfang an ab. So blieb die Stimmung siegesgewiss. An manchen Tischen werden bereits neue Pläne geschmiedet – etwa die Umbenennung des Konrad-Adenauer-Platzes in Rudi-Dutschke-Platz. Als kurz nach 19 Uhr feststeht, dass die auch notwendige Wahlbeteiligung erreicht ist, kommt Partylaune auf. Kamerateams und Fotografen drängen sich vor allem um Rudi Dutschkes Sohn Marek. Die Verkündung des Siegs wird schließlich mit Sekt und Rio Reisers Lied „Menschenfresser“ gefeiert.

„Überrascht hat mich, dass nur 60 Prozent der Anwohner der Kochstraße gegen die Umbenennung gestimmt haben. Das ist vergleichsweise wenig, wenn man weiß, dass Anwohner eigentlich grundsätzlich gegen Straßenumbenennungen sind“, sagt Jürgen Karwelat von der Berliner Geschichtswerkstatt, deren Mitarbeiter sich mit dem Geschichtsbild der Berliner beschäftigt.

„Wir brauchen nicht nur Stolpersteine, sondern auch Stolperstraßen. Das wird die Dutschkestraße auch sein“, sagt Jutta Kalepky (Grüne), die Baustadträtin von Friedrichshain-Kreuzberg. Sie forderte vom Springer Verlag, auf die bereits eingereichte Klage gegen die Umbenennung zu verzichten.

„Es war gut, über das Thema die Auseinandersetzung zu führen. Der Bürgerentscheid ist ein Mehr an demokratischer Öffentlichkeit. Dafür hat die Linke ja lange gekämpft“, sagt der Intendant des Hebbel am Ufer (HAU), Matthias Lilienthal. Er wünscht sich aber noch mehr: „Dieser Sieg ist aber nur die erste Etappe zur Umbenennung der Axel Springer AG in Rudi-Dutschke-Holding. Das muss jetzt kommen.“ AWI, FLEE, PLU, ROLA